MIT Technology Review 4/2020
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Der Wind, die Sonne und die Politik

Zwanzig Jahre nach Einführung des Erneuerbare- Energien-Gesetzes endet für die ersten Anlagen die Förderung. Wie es für sie weitergeht, ist offen.

Als im Februar die Stürme „Sabine“ und „Victoria“ durchs Land zogen, kehrte sich die Stromversorgung zeitweise auf den Kopf: Windkraft lieferte tagelang verlässliche 40 Gigawatt und deckte damit die Hälfte bis zwei Drittel des deutschen Bedarfs. Braunkohle, Steinkohle, Gas und Kernkraft kamen kaum über mittlere einstellige Gigawattwerte hinaus.

Mit einer solchen Dominanz der Erneuerbaren hätten die Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell (Grüne), Michaele Hustedt (Grüne), Hermann Scheer (SPD) und Dietmar Schütz (SPD) wohl selbst nicht gerechnet, als sie vor 20 Jahren das ­Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ausheckten. Seit es am 1. April 2000 in Kraft trat, wurde der Zubau an Erneuerbaren regelmäßig unterschätzt. 2008 etwa, bei einer der vielen Novellen, ­visierte die Bundesregierung eine Quote von 30 Prozent für 2020 an. Tatsächlich waren es schon 2019 rund 46 Prozent.

So viel Zubau war den diversen Bundes­regierungen stets unheimlich, vorgeblich aus Sorge um Netz und Kosten, aber wohl auch aus Rücksicht auf die großen Energiekon­zerne. Entsprechend zerfleddert sieht das EEG nun aus. Jede Koalition hat ­daran herumgedoktert, es von 12 auf 104 Paragrafen aufgebläht. 2012 senkte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) etwa die Solar-Einspeisevergütung auf einen Schlag um 15 Prozent. Der Zubau hat sich bis heute nicht davon erholt. 2016 ersetzte Röslers Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) einen großen Teil der festgelegten Vergütungen durch Ausschreibungen. Seitdem geht es auch mit der Windkraft tendenziell bergab (siehe TR 2/2020, S. 28).

Nun endet für die ersten Anlagen die zwanzigjährige Förderung. Laut Umweltbundesamt sind bis 2026 rund 1700 Gigawattstunden Sonnenstrom davon betroffen (bit.ly/2V7f8Qn). Das entspricht zwar nur gut dreieinhalb Prozent der aktuellen Photovoltaik-Erzeugung. Aber sie stammt von funktionsfähigen, abgezahlten Anlagen, die extrem günstig produzieren.

Eine weitere Einspeisung wie bisher wäre illegal. Die Betreiber müssen den Strom entweder komplett selbst verbrauchen oder über einen Dienstleister direkt vermarkten. Letzteres ist laut UBA wegen der hohen Vermarktungskosten allerdings für ­kleine Anlagen unwirtschaftlich: „Für Anlagenbetreiber besteht somit ein Anreiz, nicht selbst benötigte Strommengen abzuregeln.“ Mit anderen Worten: Funktionierende Stromerzeuger würden stillgelegt. Das UBA schlägt deshalb vor, den Solarstrom wenigstens nach dem aktuellen Börsenpreis zu vergüten – zumindest für eine Übergangszeit, bis „die Kosten der Direktvermarktung durch weitere Standardisierung von Prozessen und Kostensenkungen bei Digitaltechnik“ sinken werden.

Quelle: energy-charts.de

Vor ähnlichen Problemen stehen auch die Windmüller (siehe TR 2/2019, S. 82). Ursprünglich hatten die Eltern des EEGs ­geglaubt, dass sich die Erneuerbaren irgendwann von allein am Markt behaupten werden, wenn sie nur billig genug sind. In der Tat sind die Kosten für Solarstrom um 80 bis 90 Prozent gefallen, große Windparks und Photovoltaik-Freiflächenanlagen sind preislich längst auf Augenhöhe mit neu gebauten konventionellen Kraftwerken. Aber das allein macht sie noch nicht zu Selbstläufern. Da nämlich die Öko-Kraftwerke immer genau dann viel Strom einspeisen, wenn die Sonne scheint beziehungsweise der Wind weht, machen sie sich gegenseitig die Börsenpreise kaputt. Allein über einen Strommarkt, der auf Angebot und Nachfrage von Kilowattstunden basiert, werden sich die Erneuerbaren also auf absehbare Zeit nicht finanzieren ­lassen. Doch an eine grundlegende Reform des Strommarkts hat sich in den zwanzig Jahren seit Einführung des EEGs kein Politiker herangetraut.  Stromproduktion Ende Februar 2010 (oben) und 2020 (unten) Gregor Honsel