MIT Technology Review 4/2023
S. 3
Editorial
, Foto: Ricardo Wiesinger
Foto: Ricardo Wiesinger

Liebe Leserinnen und Leser,

Wir sind Zeugen eines tiefgreifenden Wandels. Künstliche Intelligenz arbeitet zwar schon lange in vielen Systemen im Hintergrund. Aber erst mit ChatGPT ist die Technologie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Quasi über Nacht wurde KI zum Mainstream.

Auch wenn der erste Hype vorbeigehen wird, sind die großen Sprachmodelle wie GPT-4 und die Softwarewelt, die um diese generativen KIs herum entsteht, so mächtig, dass sie unseren Alltag verändern werden. Viele Aufgaben wird eine KI in Zukunft einfach schneller und besser erledigen. Das wird großen Einfluss auf Forschung, Bildung, Marketing, Journalismus und vieles mehr haben.

Abgesehen davon, dass Sprachmodelle noch regelmäßig halluzinieren: Steckt echte Intelligenz in ihnen? Man könnte es sich leicht machen und sagen, dass sie natürlich nicht verstehen, was sie schreiben. Aber ist es wirklich so einfach? Mit verschiedenen Tests machen sich Forscherteams auf die Suche nach Spuren von Intelligenz (Seite 40).

Gleichzeitig ist die Gefahr des Missbrauchs groß. Der Begriff „Fake“ bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man sich zum Beispiel die Fake-Bilder vom Papst in weißer Daunenjacke anschaut, die von der Realität kaum zu unterscheiden sind (Seite 22). Und das ist erst der Anfang. Deep Fakes, Desinformation und Angriffe können mit deutlich weniger Aufwand und täuschend echter Aufmachung für Verwirrung und Manipulation sorgen. Wie kann KI ethisch erzogen werden, um solchen Missbrauch zu minimieren (Seite 52)?

Und wie sieht eine kluge Regulierung aus? Die EU ist dabei, mit dem AI Act ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das umfassende Regeln für KI aufstellt – entlang ihrer vielfältigen Anwendungen und Risikoszenarien. Dabei ist ein regelrechter Kampf zwischen Big-Tech-Lobbyisten und der EU entbrannt (Seite 46).

Aber sollte unser Kontinent nicht auch aktiver Teil dieses Wandels sein und ihn global mitgestalten? Ja, sagt KI-Forscher Kristian Kersting, aber dazu brauche es politischen Willen und Geld (Seite 28). „Wir können, wenn man uns lässt – aber es fehlt das Vertrauen. Ich habe das Gefühl, wir werden immer noch als die Nerds angesehen.“

Der Geist ist aus der Flasche. Wir können ihn nicht mehr einfangen. Ihm seine Grenzen aufzeigen und mit seinen Fähigkeiten die Zukunft gestalten: Das ist jetzt die Aufgabe.

Ihr

Luca Caracciolo

@papierjunge