iX 10/2023
S. 3
Editorial
Oktober 2023

DMA: Versuch macht klüger

Falk Steiner

Der Digital Markets Act der EU ist ein gewagter Versuch: Er soll per Wettbewerbsrecht Probleme adressieren, die speziell in digitalen Märkten auftreten. Und es ist klar, welche das sind – denn vor allem Lock-in-Effekte, die Kunden den Wechsel zwischen verschiedenen Anbietern erschweren, sind für die Digitalwirtschaft typisch. Der praktische Wechsel von einem großen Anbieter zu einem anderen wird durch unterschiedliche Strukturen und Formate nicht bloß erschwert. Er ist praktisch oft schlicht unmöglich. Denn Interoperabilität – und sei es nur in Teilbereichen – ist kaum vorgesehen.

Ein Zusatzproblem sind große Unternehmen, die vertikal und horizontal integriert sind. Was für klassische Wirtschaftszweige kaum möglich war, im digitalen ist es zu oft Standard: Endgeräteanbieter sind zugleich Hardwarehersteller, ferner Softwareentwickler und betreiben vielleicht sogar auch noch Werbeplattformen. Die digitale Wertschöpfungskette fördert Monopole und es gibt keinerlei Anreiz für die Anbieter, daran etwas zu ändern, um Wettbewerb zuzulassen – die Kasse klingelt umso zuverlässiger.

Vom Browser-Bundling bei Windows bis hin zur Selbstbevorzugung von Mobilbetriebssystemanbietern per nicht deinstallierbarer Defaultsoftware: Google, Apple, Microsoft und andere haben sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Jetzt soll der DMA solchen Praktiken den Garaus machen. Dabei ist er nicht in erster Linie als Verbraucherschutzgesetz gedacht, auch wenn Nutzer sich über die neuen Vorschriften freuen dürfen: Dass die großen Over-the-Top-Messenger wie WhatsApp sich für Kommunikationsmöglichkeiten mit Drittanbietern öffnen müssen, könnte einen großen Unterschied im Alltag machen.

Doch der DMA soll viel Größeres schaffen: Er soll wie ein Dosenöffner funktionieren. Die großen Anbieter sollen zur Standardisierung und zu Schnittstellen gezwungen werden, damit Dritte bessere oder zumindest konkurrenzfähige Produkte entwickeln können. Dabei dürfen sie sich über die neuen Regelwerke nicht beschweren: Die Alternative zur Interoperabilität und Einschränkung wäre die Zerschlagung. Es ist allerdings noch vollkommen offen, ob der DMA wirklich mehr Wettbewerb ermöglicht.

Der DMA wird sich auch an anderer Stelle erst beweisen müssen. Im Bundesinnenministerium etwa wird seit Langem gehofft, dass der DMA Apple dazu zwingt, das Secure Element der iPhones zu öffnen. Damit soll die digitale ID-Lösung des elektronischen Personalausweises alltagstauglich werden. Gespräche mit Apple hierzu waren bislang fruchtlos. Apple wiederum sieht die Gefahr, seine verhältnismäßig sichere Infrastruktur für Dritte aufbrechen zu müssen.

In der Zukunft könnte der DMA oder eine Regelung, die aus dessen Anwendung lernt, eine ganz andere Bedeutung erlangen. Und dabei geht es nicht in erster Linie um den klassischen Markt für digitale Güter, sondern um ganz andere Branchen, etwa die Autoindustrie. Die Pkw-Digitalisierung schreitet in großen Schritten voran, doch die Branche ist – auch durch eigene Fehler – abhängig von großen digitalen Dienstleistern. In Zukunft könnten Softwarehersteller die Dominanz über die Fahrzeughersteller erlangen. Und je mehr Realdaten sie erhalten, umso besser können sie ihre Produkte auf die Realität und die Bedürfnisse ausrichten. Es droht ein Lock-in-Effekt mit einem De-facto-Monopol oder Oligopol. Und auch in der Landwirtschaft, im Building Information Modeling und anderen Sektoren drohen ähnliche Entwicklungen.

Die Kommission wendet den DMA erst einmal auffallend zurückhaltend an – Cloud-Anbieter etwa hat sie keine benannt. Dabei gehört der Markt zu den strukturell relevantesten. Als ob die EU-Kommission selbst etwas Angst vor dem hätte, was sie durch ihre Vorgaben auslösen könnte.

Dass mit dem Gesetz nun Erfahrungswerte gesammelt werden, wie technische Monopolisierung verhindert werden kann, ist gut. Denn dass ein funktionierender Wettbewerb nötig ist, um Marktkräfte effizient wirken zu lassen, ist unumstritten. Ob das über die nun gefundenen Ansätze für Digitalmärkte tatsächlich gelingen kann – die EU muss es herausfinden. Und die Nutzer gleich mit.

Falk Steiner

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