Make Magazin 7/2023
S. 3
Make
Editorial

German Angst

Eigentlich war es mit Ansage: Unser Reparatur-Sonderheft hat wieder viele Bedenkenträger dazu veranlasst, unsere ihrer Meinung nach unverantwortlichen Anleitungen und Tipps als lebensgefährlich zu brandmarken. Zwar warnen wir in den Artikeln, in denen Gefahr besteht, mit 230 Volt in Berührung zu kommen, und erklären, wie man sich schützen kann und welche Vorsorgemaßnahmen man ergreifen sollte. Und dass man im Zweifel lieber eine Fachkraft ranlassen soll. Trotzdem gibt es immer einen Aufstand. Am schlimmsten hat es diesmal den Artikel zu Schaltnetzteilen in Waschmaschinen im heise-Forum abbekommen: Tod, Verderben und Siechtum drohen allen, die versuchen würden, den einen Kondensator auszutauschen.

Wir bei der Make nehmen das Thema nicht auf die leichte Schulter, dennoch denke ich, dass die Reaktionen völlig überzogen sind. Erstens traue ich unseren Lesern durchaus zu, ihr Können und die Gefahren richtig einzuschätzen. Und vorher den Stecker zu ziehen bzw. nicht mit der bloßen Hand zu prüfen, ob Spannung anliegt. Zweitens stelle ich mir die Frage, warum bei Themen rund um 230 V die Reaktionen so heftig ausfallen. Beruhen sie auf persönlichen Verlusten von Freunden oder Angehörigen im eigenen Umfeld? Aus Erfahrungen am eigenen Leibe? Oder weil man von anderen gehört hat, die jemanden kennen ...?

Schaut man sich die zurückliegenden Statistiken an, gab es laut VDE im Jahr 2019 32 Stromunfälle mit Todesfolge, davon entfielen 7 auf Industrie und Gewerbe und 25 auf „Sonstiges“. Sonstiges teilte sich wiederum in private Haushalte und andere Orte auf. Zur Orientierung: 2016 wurden 7 Todesfälle in Haushalten angegeben. Tendenz leicht steigend. Laut VDE sind oft Billigprodukte aus China im Spiel, deren mangelnde Qualität „zu Fehlfunktionen, Kurzschlüssen und Sicherheitsproblemen führen können“. Der VDE vermutet sogar eine vermehrte Nutzung von Ladegeräten in Badezimmern. Nach Einschätzungen von Medizinern führen Unfälle im Niederspannungsbereich (< 1000 Volt) in 3 Prozent der Fälle zum Tod. Verkehrsunfälle führen zwar nur in rund 1 Prozent zum Tod (2022: 360.000 Unfälle, 2800 Tote). Dennoch ist das Risiko allein wegen der Größenordnung ungleich größer - ohne dass ständig jemand darauf hinweist, wie unverantwortlich Autofahren sein.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht hier nicht darum, eine potenzielle Gefahr durch Strom zu Gunsten des Bastelns oder des Reparierens zu banalisieren. Es geht darum, das Risiko auf Basis von Zahlen richtig einzuordnen. Und wie es in der Statistik aussieht, muss die Reparatur der Waschmaschine nicht automatisch im sicheren Tod enden. Warum der Umgang oder Nichtumgang mit 230 V in unseren Foren regelmäßig mit Schaum vorm Mund endet, ist mir schleierhaft.

Aber tun Sie mir trotzdem den Gefallen, weiterhin unsere Warnhinweise in Artikeln zu beachten und einzuhalten. Und geben Sie Tipps zum sicheren Umgang gerne weiter. Ohne Schaum vorm Mund.

Happy Hacking

make-magazin.de/xemj

Daniel Bachfeld

Daniel Bachfeld