E-Fuel-Punk 2045: Pkw-Technologiewechsel in der Zukunft

Wenn sich die Technik des Mainstreams ändert, bleibt es nicht beim Status Quo. Das E-Auto kann bei Massenannahme alles für Verbrenner ändern.

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Synthetischer Sprit bei Porsches GT3-Cup. Technisch alles kein Problem. Aber zum Pendeln wollen wir nicht Rennsprit-Tarife zahlen.

(Bild: Porsche)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Das Thema eFuels oder besser, erweitert: synthetische Treibstoffe, die nicht vom Acker kommen, betrachte ich hauptsächlich vom Blickwinkel Powersports aus. Bedeutet: Motorräder, Sportwagen, ATV, Jetboote und so weiter. Den Grund habe ich oft geschrieben: Diese Nische ist winzig (2 bis 3 Prozent des Straßenverkehrs), aber zahlungskräftig, sodass weder die homöopathischen Mengen noch die exorbitanten Kosten nennenswerte Hinderungsgründe darstellen. Wenn man Powersports dekarbonisieren möchte, wäre die Technik verfügbar. Wenn man das nicht möchte, ist es angesichts der geringen Bedeutung auch egal. Deshalb gelten die für 2035 vorgesehenen EU-Zulassungsgesetze auch nicht für Powersports, sondern nur für PKW und leichte NFZ (bis 3,5 t). Dass sich für Powersports aber "nichts ändert", wäre eine Fehlannahme.

Ja, ich weiß, dass es elektrischen Powersports gibt. Hier ein Bild des Nachwuchs-Geräts CFMoto CForce EV 110 (erscheint wohl Ende 2023). Wie bei den Akku-Kettensägen wird der E-Antrieb das Benzin nicht vollständig sinnvoll ersetzen können.

(Bild: CFMoto)

Ein Technologiewechsel hat hauptsächlich etwas mit Gesellschaften zu tun, weil Einzelne nie viel reißen können, so sehr uns das Silicon-Valley-Märchen auch weismachen wollen. Das Elektroauto hat in den über 100 Jahren seiner Existenz, als Verbrennungsmotoren die Technik der Massenwahl waren, keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Die Fortschritte bei E-Motoren kamen aus der Industrie, die Fortschritte bei den Akkus kamen aus der Unterhaltungselektronik – beides Gebiete, auf denen sehr viele Menschen sehr hoch vernetzt um die besten Ideen rangen.

Jetzt gibt es seit etwas über zehn Jahren E-Autos am Massenmarkt zu kaufen, und plötzlich haben wir eine völlig neue Batterietechnik (Natrium-Ionen) in Serie, bei der tatsächlich das Auto der Treiber war statt eine andere Branche. Der Unterschied zu früher: Heute beschäftigen sich sehr viele Menschen vernetzt mit dem Elektroauto als Technik. Da es eine begrenzte Menge an dazu fähigen Gehirnen gibt, wird das (zumindest in Europa) zu Abstrichen bei Wärmekraftmotoren führen.

In der Motorradbranche kennen wir dieses Phänomen auswendig: Fast alle Technologie, die im Motorrad zur Anwendung kommt, hat vorher im Autobereich mindestens ein Jahrzehnt treue Dienste in der Großserie geleistet. ABS. IMU. ECU. Abstandstempomat. Bremskraftverteiler. Das sind Dinge, bei denen Autofahrer gähnen, obwohl z. B. der Abstandstempomat erst kürzlich in den Motorrad-Serienbau Einzug hielt. Sie ahnen, worauf das hinausläuft: Wenn Technik im Antriebsbereich nicht mehr vom Füllhorn-LKW der Autoindustrie fällt, dann wird es schwierig für Motorradhersteller, selbst das aktuelle Technologie-Niveau zu halten.

Ein Abstandstempomat fällt auch vom Elektro-Lkw, eine neue Hubkolben-Motorsteuergerätgeneration aber nicht. Das aktuelle Level ist vielen unbewusst, deshalb gebe ich ein kleines Beispiel: Für die 2. Stufe der Abgasnorm Euro 5 müssen Motorrad-Steuergeräte im Betrieb reihenweise Prüfprogramme fahren, deren erfolgreiche Abschlüsse zählen und das alles fürs Auslesen über OBD2 protokollieren. Stellen Sie sich nun vor, Sie seien ein kleiner italienischer Motorradhersteller, der schon mit Zündkennfeldern und schöner E-Gasannahme kämpft.

Wenn die Autoindustrie als Vorläufer wegfiele, denke ich, dass wir langfristig technologisch eher zurückfallen. So gut, wie die Benzinerantriebe heute bei den großen Herstellern aus Japan und Europa funktionieren, kann es nur eine Zeitlang bleiben, solange nämlich das Ökosystem der Zulieferer noch dieses enorme Know-How hat. Schon heute gibt es immer wieder Probleme mit der Gasannahme, selbst bei den größten, den besten. Wo wird das langfristig stabil enden? Bei den Großen vielleicht wie bei Polaris: Hardware top, Software grauselig. Bei den Kleinen wird es eher in Richtung Benelli TnT 1130 circa 2006 gehen. Das waren herrliche, charakterstarke, liebenswerte Motorräder, die mir und anderen einige der schönsten Kraftfahrzeugmomente schenkten. Aber Sie können selber einschätzen, wie gut diese Dinger im Vergleich zu einer Honda, Ducati, KTM oder BMW funktionierten, wenn Sie je von einer Wolke unverbrannten Benzins eingenebelt von so einem Ding stiegen. Für die Nichtkenner: Das ist keine Übertreibung.

Man stieg von frühen TnT ab und roch nach Auspuffbenzin, das sich im Wirbelbereich hinten auf die Jacke auftrug. Die Gartenschlauch-Einspritzanlage nannte mein Kollege Maik Schwarz gern die "Gießkanne". Die Motorsteuerung kam von einem Unternehmen, das sonst für Rasenmäher fertigte. Die TnT wäre so heute nicht mehr zulassungsfähig, aber das heißt nur, dass das Kleinserien-Niveau für den Fahrer schlimmer wird, weil die einfache Überfettung als Lösung für Motorlaufprobleme wegfällt. Wo wäre BMW ohne Bosch? Wo wäre Ducati ohne Marelli? Und wo wären Bosch und Marelli ohne die Pkw-Industrie?

Krämer GP2-R. 140 kg. Das hohe Niveau dieser Maschine aus so einer kleinen Manufaktur ist möglich durch das Ökosystem, in dem sie wachsen konnte, mit KTM-Motor, Peripherie aus der Zulieferindustrie und überall hohem Know-How.

(Bild: Nico Röder)

Ein Kollege äußerte den Gedanken, dass die Motorradnation #1 uns hier helfen könnte: Indien. Es stimmt, dass Indien sehr viel Know-How bei Motorrädern aufbaut, in enormer Geschwindigkeit. Aber das hat China auch getan. Kurz vorher war China noch eine Fahrradnation. Dann war es eine Motorradnation, wie Indien heute. Jetzt ist es bereits eine Autonation. Was spricht dafür, dass Indien beim Motorrad bleibt, sobald der Massenwohlstand für Massenautos vorhanden wäre? Nichts. Was spricht dafür, dass Indien Chinas Wohlstand erreicht? Alles.

Das Motorrad wird in Indien ebenfalls irgendwann komplett in die Powersports-Spaßnische fallen müssen. Royal Enfield produziert schon heute da hinein. Und dann kann uns Indien keine Einspritzanlagen mehr aus der Massenfertigung weiterentwickeln. Der Powersports-Markt muss dann weltweit aus eigener Nischen-Kraft bestehen – wenn Massen-Verbrennungsmotoren aus PKW wirklich in die Bedeutungslosigkeit entschwinden. Das ist außerhalb von Europa politisch noch nicht so gewünscht wie bei uns.

Wie viel Verbreitung unter PKW wird Wasserstoff haben, wenn die Langstrecken-LKW damit fahren müssen? Schwer zu sagen.

(Bild: Clemens Gleich)

Kehren wir deshalb zurück nach Europa und sehen uns die Infrastruktur an. Das französische Energieunternehmen TotalEnergies hat das Tankstellennetz in Deutschland und den Niederlanden an die kanadische Einzelhandels-Firma Alimentation Couche-Tard verkauft und tritt selber nur noch als Energielieferant der Treibstoffe auf. Die LKW-Tankstellen, die Wasserstoff-Zapfsäulen und die Ladestationen will Total behalten. Das sieht schon wie eine Reaktion auf vermutete zukünftige Nachfragen aus. Wir sehen ein Beispiel für eine selbst beschleunigende Dynamik: Total verkauft, weil sich der Wind dreht, was für mehr Wind sorgt, der andere dann umtreibt. Es ist dabei irrelevant, ob eine Entwicklung diesem oder jenem Experten "sinnvoll" vorkommt. Die Dynamik entsteht so oder so, wenn sie einmal Energie aufgebaut hat, und sie entsteht aus der Masse.

Wann hat die Masse der Menschen je "das Beste" gemacht, das dieser oder jener Experte ausbaldowert hat? Gesellschaftsentwicklung ist immer ein unkontrolliertes Gewurstel, bei dem am Ende evolutionär ein paar Ideen stehen bleiben. Das wird gern kritisiert, aber im geschichtlichen Rückblick schauen die ach so geilen Ideen der Experten, die sich dann nicht durchsetzten, öfter aus wie "bullet dodged" als nach "hach, hätten wir mal ...".