Missing Link: Open Source ist tot, es lebe Post-Open-Source​

Seite 2: Open-Source-Lizenzen funktionieren nicht mehr

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Zu den dringlichsten Herausforderungen, die Perens mit seiner Skizze angehen will, zählt er die des juristisch abgesicherten Erhalts größtmöglicher Nutzungsfreiheiten. "Erstens funktionieren unsere Lizenzen nicht mehr", moniert der Linux-Pionier gegenüber The Register. "Die Zeit war lange genug, sodass die Unternehmen alle Lücken gefunden haben." Die GPL wirke nicht mehr so, wie sie es eigentlich tun sollte. Ein Drittel aller kostenpflichtigen Linux-Systeme würden mit einer GPL-Umgehung verkauft, verweist der alte Hase auf Red Hat Enterprise Linux (RHEL). Der Sündenfall: Seit Juni stellt der neue Eigentümer IBM den Quellcode der Distribution nicht mehr komplett im Einklang mit den GPL-Anforderungen zur Verfügung.

Red Hat sei eigentlich keine Linux-Firma mehr, sondern nun eben Teil von Big Blue, weiß Perens. Das Unternehmen mit dem roten Hut im Logo richtete bereits vor einiger Zeit CentOS, das als freie Alternative zu RHEL gedacht war, neu aus und schränkte vor einem halben Jahr die Herausgabe der RHEL-Quelltexte durch eine vergleichsweise restriktive Endnutzer-Lizenzvereinbarung ein.

IBM vertreibe CentOS nun gar nicht mehr, beklagt Perens. Big Blue operiere schon seit einiger Zeit mit Tricks, die seiner Ansicht nach gegen die GPL verstoßen: "Sie sagen Ihnen, dass Sie als RHEL-Kunde den GPL-Quellcode für Sicherheitsupdates, die Red Hat erstellt, nicht offenlegen dürfen." IBM-Mitarbeiter behaupteten zwar, dass sie immer noch Patches an das zugehörige Open-Source-Projekt weitergäben. Dazu würden sie von Konzernseite her aber nicht mehr verpflichtet.

"Das geht schon lange so", ärgert sich der Verfechter freien Quellcodes. Nur die Tatsache, dass Red Hat eine öffentliche Distribution von CentOS als eine Art markenlose Version von RHEL herausgab, "hat es erträglich gemacht". Mit der von IBM praktizierten Kehrtwende fühle es sich so an, dass der Konzern "jetzt von der Open-Source-Entwicklergemeinschaft alles bekomme, was er wollte. Und uns hat er so etwas wie den Mittelfinger gezeigt." Offensichtlich sei CentOS aber auch für viele Unternehmen wichtig gewesen, sodass diese sich jetzt um die Einführung des alternativen Community-Projekts Rocky Linux bemühten, das auf RHEL basiert.

Perens vermisst nicht nur bei IBM ein anhaltendes Gedächtnis, wie freie Software funktioniert. Open-Source-Anwendungen schreiben zahlreiche Programmierer verteilt über den Globus gemeinsam, der entstehende Quellcode ist frei verfügbar und kann weiterentwickelt werden. Rechtliche Vorgaben wie die GPL sollen gleichzeitig gewährleisten, dass auch Modifikationen wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. So werden Betriebssysteme wie Linux oder Android am Leben erhalten. Es soll sichergestellt werden, dass nicht Google oder eine andere Internetgröße die von der Community mitentwickelte Software plötzlich "privatisiert" und in Eigenregie lizenziert.

Die von der GPL gewährten Nutzerfreiheiten umfassen den Zugang zum Quellcode, das Kopieren und Weitergeben, das Ändern des Programms und die Option, die überarbeitete Software unter denselben Bedingungen zu verbreiten. Das Urheberrecht der Produzenten bleibt dabei in der speziellen Form des Copyleft prinzipiell erhalten. Das Copyright hat Stallman dabei aber gleichsam umgekehrt: Das Copyleft schreibt den Rückfluss neuer Schöpfungen an die Entwicklergemeinde vor.

Ermöglicht werden sollen damit kollektive Erfindungen. Wenn etwa Firmen den weiterentwickelten Code aber überhaupt nicht veröffentlichen, können sie ihre Änderungen auch für die Allgemeinheit blockieren. Den Betreibern vergleichsweise junger, auf Open Source basierender Cloud-Dienste fällt die Geheimniskrämerei in den undurchsichtigen Rechnerwolken besonders einfach, da sich der Quelltext der benutzten Protokolle kaum überprüfen lässt und Begrifflichkeiten rasch umdefiniert werden. Die Firma HashiCorp etwa, die auf Software für Cloud-Infrastruktur spezialisiert ist, nutzt eine formal nicht offene Lizenz. Elastic, Neo4j und MongoDB machen es ähnlich und sorgen damit für Streit über in sich widersprüchliche und nur wenige Rechte gewährende Konstrukte wie die Commons Clause.

Perens befürchtete schon bei der Vorstellung eines ersten Entwurfs für Version 3 der GPL 2016, dass die damit an den Tag gelegte Kompromissbereitschaft ein Stück zu weit geht. Er warnte bereits damals davor, Lizenznehmern einen Freifahrtschein für die Verknüpfung proprietärer Komponenten mit GPL-Software zu erteilen. Inzwischen hält der Vordenker auch die mit Blick auf Google und das Modell Software-as-a-Service (SaaS) von der Free Software Foundation (FSF) entwickelte GNU Affero General Public License (AGPL) nicht mehr für hinreichend weitläufig und tragfähig. Diese GPL-Variante gilt grundsätzlich auch für Webanwendungen. Nutzer müssen demnach eine Downloadmöglichkeit für den Quelltext auch dann erhalten, wenn die Software nur auf einem Server als Dienst betrieben wird.

Übel stößt Perens zudem auf, "dass Open Source völlig dabei versagt hat, dem Durchschnittsbürger zu dienen". Wenn überhaupt, komme dieser größtenteils über die Systeme eines proprietären Softwareunternehmens wie Apple iOS oder Google Android damit in Berührung. Die beiden Mobilsysteme bauten zwar auf einer Open-Source-Infrastruktur auf, die darüber vertriebenen Apps seien aber größtenteils proprietär. Der Otto-Normal-Nutzer wisse so "nichts über die Freiheiten, die wir fördern", obwohl diese "zunehmend in seinem Interesse liegen".

Tatsächlich wird Open Source laut dem Vorreiter heute vielfach in Stellung gebracht, um die Nutzer "zu überwachen und sogar zu unterdrücken". Mit Blick auf die großen Internet-Plattformen gibt er zu bedenken: "Ein Großteil der Software ist darauf ausgerichtet, dass der Kunde das Produkt ist." Die Nutzer würden so ausspioniert "und in einigen Fällen sogar missbraucht". Es sei daher an der Zeit, dass Open Source tatsächlich mehr "für normale Menschen" bewirke und diese das auch mitbekämen.