Digital Detox: Einfach nur Urlaub nehmen reicht längst nicht mehr

Was müssen wir heute dafür tun, um wirklich mal abzuschalten? Ähnlich wie ein Recht auf Urlaub, plädiert Julia Kloiber für ein Recht darauf, offline zu sein.

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(Bild: Anna Niedhart)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Julia Kloiber

Das letzte Mal komplett offline für mehrere Wochen war ich 2012 auf Kuba. Eine Stunde Internet kostete 25 Dollar, die meiste Zeit davon hätte ich vor einem Ladebalken in einer Hotellobby oder einem muffigen Internetcafé verbracht. Ich habe den ganzen Urlaub über keine einzige E-Mail verschickt, keine Nachrichten gelesen, kein Foto gepostet. Es fühlte sich ungemein frei an, offline zu sein.

Wenn ich heute davon spreche, dass ich im Urlaub offline bin, dann bezieht sich das meistens darauf, dass ich keine Arbeitsmails lese und nicht auf Social Media bin (was allerdings in den seltensten Fällen stimmt). Das Handy habe ich trotzdem immer dabei. Ich trage die Welt in meiner Hosentasche und muss mich davon abhalten, nicht dauernd nachzuschauen, was gerade so alles passiert. Und selbst wenn ich mich beherrsche, werde ich doch die ganze Zeit von allen möglichen Apps getrackt. Ganz offline bin ich also nie.

Das stimmt mich nachdenklich: Wird es in Zukunft überhaupt noch möglich sein, komplett offline zu sein? Die Devices, die wir am Körper tragen, können wir ausschalten. Aber was ist mit den Apparaten um uns herum: die Überwachungskameras im öffentlichen Raum, die Gesichtserkennung an Flughäfen? Bei dem Gedanken an eine Zukunft, in der ich 24/7 online bin, fange ich heute schon an, nervös an meinen Fingernägeln zu kauen. Wie soll man in einer solchen Zukunft zur Ruhe kommen?

TR-Kolumne von Julia Kloiber

Dabei ist Erholung so wichtig, um sich zu regenerieren, um soziale Kontakte zu pflegen, um geistig mobil zu bleiben oder um schlicht nicht mit vierzig an einem Herzinfarkt zu sterben. Vor 150 Jahren war ein Recht auf Urlaub und Erholung noch unvorstellbar, bis Gewerkschaften es erkämpft haben. Heute kann man es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nachlesen: "Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen, bezahlten Urlaub." Mit dem Internet hat sich Urlaub aber verändert. Ich nehme ihn zwar in regelmäßigen Abständen, bin aber durch die digitale Infrastruktur um mich herum trotzdem immer online und vernetzt – und dadurch immer ein bisschen gestresst.

Haben sich die Menschen vor hundert Jahren so das Konzept Urlaub vorgestellt? Wenn Techkonzerne und Werbetreibende immer wissen, wo man sich gerade aufhält? Wenn man jede Sekunde nur einen "Ping" davon entfernt ist, auf etwas zu reagieren? Ich frage mich, was müssten wir heute tun, um auch in Zukunft noch Raum für Erholung zu haben?

Wie wäre es mit einem Recht darauf, offline zu sein? Disconnected wie damals auf Kuba. Digital für einen bestimmten Zeitraum nicht auffindbar und erreichbar. Ich stelle mir ein solches Recht ähnlich wie das Recht auf Urlaub vor. Es müsste so implementiert werden, dass es einfach ist, sich auszuklinken. Wie ein virtueller Schalter, den man umlegt und sich von allem entkoppelt.

Theoretisch haben wir diese Schalter heute schon. Wir können das Tracking deaktivieren und unser Diensthandy zu Hause lassen. Dann müssen wir nur noch lernen, den nächstmöglichen Klick auch mit unserem privaten Gerät sein zu lassen. Es sind aber nicht nur die technischen Möglichkeiten, die uns davon abhalten. Erreichbarkeit im Urlaub und außerhalb der Arbeitszeit ist zur sozialen Norm geworden. Es ist der soziale Druck, der dafür sorgt, dass wir trotz Urlaub auf Nachrichten reagieren, kurz in Arbeitsmails schauen, anderen aus der Ferne Arbeitsaufträge erteilen – oder auch Freunden und Verwandten antworten. Und der Druck wird weitergegeben. Wenn ich in meinem Urlaub auf Dinge reagiere, dann erwarte ich es unbewusst auch von anderen.

Der soziale Druck muss weichen. Dünger für unsere überreizten Hirne ist nicht mehr, sondern weniger Input. Das Schwerste und Einfachste zugleich: Wir müssen bei uns selbst anfangen. – Nach Diktat verreist.

Wofür Julia Kloiber plädiert, nämlich mehr auf sich selbst zu achten, darum geht es auch in der neuen Ausgabe von MIT Technology Review. Jetzt im Handel und im heise shop bestellbar.

(jle)