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Was war. Was wird.

Roboter statt Reporter: In dieser Woche wird Hal Faber vom ersten vollautomatisierten Newsroom und ernsthaften Selbstzweifeln geplagt.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Auch dann, wenn die Augen nur den Blick auf einen Bildschirm frei geben. Tatsache ist, dass ich als Chronist ein Auslaufmodell bin. Wer braucht schon einen Hal Faber, wenn es News-Roboter gibt? Die rauchen nicht, die trinken nicht, haben ein festes Herz oder besser noch gar keins und müssen weder Kinder abholen noch Rasen mähen. Auch von einem komplizierten Liebesleben bleiben sie verschont. Auf dem Weltkongress der Association of Newspapers wurden in dieser Woche die ersten vollautomatisierten Newsrooms vorgestellt, die den gestressten Schreiberling und möglicherweise im nächsten Schritt den Leser völlig überflüssig machen. Und in ihrer Freizeit treten die Newsplex-Roboter dann mit ihrer Redaktions-Fussballmanschaft beim Robocup an, der gerade in Paderborn angepfiffen wird.

*** Wir arbeitslosen News-Junkies legen derweil die Beine hoch und lesen putzige Artikel, wie den in der Süddeutschen von heute, der vom Nicht-Aussterben der Tageszeitungen handelt. Haben die eine Ahnung! Natürlich fängt die Machtübernahme der Newsplexe ganz unscheinbar an. Da muss man gut hingucken können: Schau'n wir mal nach Amerika, wo Online-Zines wie Suck in den Urlaub gehen, wo Feed aufs Eis gelegt und Plastic ganz einfach recycled wird. Das alles, weil Automatic Media eine Firma ist, die vollautomatisch Schlussstriche ziehen kann. Betrifft es nur die Online Magazine und Blätter mit enthirnten Namen wie Business 2.0? Aber nicht doch: man schaue sich nur an, wie die Roboter beim Springer Verlag den Peter Boenisch entsorgen, der Bild groß gemacht hat. Der Mann hatte in der Süddeutschen seine Meinung über die deutsche Lufthansa geschrieben, die die Süddeutsche Zeitung nicht länger deportieren will. Das würde ein echter News-Bot niemals tun. Und so wird er gefeuert. Die Begründung ist auch nicht schlecht: "Meinungs- und Pressefreiheit sind das Fundament der publizistischen Tätigkeit des Axel Springer Verlages." Ganz klar, hier kann nur binäre Logik am Werk gewesen sein.

*** Möglicherweise ist's ja dieselbe Logik, mit der Boris Becker sein mit vielen Vorschusslorbeeren bedachtes Portal Sportgate in den ewigen Jagdgründen versenken will. Spezi Helmut Thoma nennt Bobbele längst wieder bei seinem richtigen Namen: Herr Becker! Das ist wohl ein cleverer Schachzug, damit keiner drauf kommt, dass die beiden mal ganz dicke waren. Clever sind offensichtlich auch die AOL-Mitglieder. Dem Vernehmen nach ließen sie sich nämlich nicht von einem irischen Scherzbold filmen, der ihnen in einer von ihm verschickten Viren-Warnung die Löschung der gefährlichen AOL.exe angeraten hat, deren bedingte Ungefährlichkeit einst von Herrn Becker bei einem viel beachteten Selbsttest ("Bin ich schon drin, oder was?") nachgewiesen wurde.

*** Doch bleiben wir noch etwas bei besagter Viren-Warnung. Absender ist nämlich ein gewisser Ray Owens, eine Art irischer Bornemann, der im Internet unter anderem auch eine Witz-Seite der Form "Kommt ein Mann zum Arzt..." unterhält. Um möglichst viele AOL-User zu leimen, hat er sich eine E-Mail mit einer wirklich gemeinen Fama ausgedacht und sie mit einer handfesten Drohung verknüpft: Wer nicht löscht, zahlt! Zuwiderhandlungen bestraft AOL nämlich mit einem monatlichen Aufpreis von 2 Dollar 90. Rund 700 Abonnenten sollen sich daraufhin bei AOL nach dem Wahrheitsgehalt der E-Mail erkundigt haben, was wirklich nicht viel ist, bei einer so guten Geschichte.

*** "Programmieren können wir nicht. Wir können nur billig". In der vergangenen Woche sorgte ein Hamburger Urteil für Freude beim Media-Markt-Stehaufmännchen Joachim Steinhöfel, im Zweitberuf Rechtsanwalt. Gleichzeitig holte Microsoft eine aparte Variante der Metatags aus seiner Wundertüte quellgeschlossener Innovationen. Beide Nachrichten werfen die Frage auf, wozu ein Metatag gut ist. Die gängige Antwort hat etwas mit Suchmaschinen zu tun, die solche Tags angeblich futtern. Und viele Seiten, nicht nur jene, die Links befreien wollen, setzen darauf, hübsch umworben zu werden und den Surfer anzubuggern. Doch was Microsoft da konzipiert, ist um Klassen besser und vor allem nett betitelt. Dem Wall Street Journal erzählte eine Pressesprecherin, dass Microsoft den Surfern die Zeit ersparen wolle, auf "wenig gelinkten" (underlinked) Websites zu landen.

*** Statt dessen bekommen die Surfer also korrekt gelinkte Seiten, frei nach dem Motto "Where do we want you to go today". Smart Tags sind wirklich smart: Man darf das Ganze als Versuchsballon werten, die postmonopolistische Luft zu testen. Am Ende werden die Tags ganz smart im integrierten Messenger ihre Dienste verrichten – und niemand wird sich darüber aufregen. Denn Microsoft kann seine Änderungen damit begründen, alles für den Anwender zu tun, der Sauberkeit und Konsistenz (cleanliness and consistency) braucht.

*** Apropos Microsoft beziehungsweise Office XP: Alle Nachrichten über den Abgang von Clippy alias Karl Klammer haben sich als voreilig erwiesen. Die interaktive Hilfe lebt, sie ist nur etwas einfacher zu entfernen. Die Werbung von Microsoft hat damit Schieflage, doch Clippy scheint notwendig zu sein, weil jeglicher Support für Office 97 eingestellt wird. Seltsamerweise auch der über das Web. Das bringt uns zu einem Buch über das Jahr 1926, das Hans Ulbricht Gumbrecht geschrieben hat. Es ist eines der ersten Werke, die dem Leser eine Hilfe-Funktion wie die in Computer-Programmen anbietet. Wie das so mit Hilfen ist, funktioniert auch diese nicht: Der Autor verweist einfach auf ein anderes Kapitel, in dem bewiesen wird, dass es mit dem Lerne aus der Geschichte vorbei ist. Wer die Geschichte der Computerindustrie verfolgt, weiß das freilich längst.

*** Das wiederum führt uns zu einem Druckwerk, das der Autor David Flannery für seine Tochter Sarah ersonnen hat: In code: A Mathematical Journey. Es kommt gänzlich ohne Hilfefunktion aus und erzählt die Geschichte eines mathematischen Wunderkindes, das die Kryptografie auf neue Beine stellt. Erinnern wir uns freundlich, obwohl es eigentlich "Geschichte" ist und diese nutzlos herum steht: Im Januar 1999 nahm Sarah Flannery an Irlands Young Scientists Contest teil, dem Gegenstück zum deutschen Jugend forscht. Dort gewann sie mit ihrem Beitrag Cryptography - A new algorithm versus the RSA und entdeckte den von ihr so benamsten Cayley-Purser-Algorithmus, der das Internet beschleunigen soll. Bis heute ist von diesem Wunderding wenig bekannt; immerhin wurde es während eines Schulpraktikums bei der Firma Baltimore Technologies entwickelt. Das Buch liefert uns nun die Geschichte des Praktikums nach, ohne Algorithmus freilich. Ein Blick auf das Unternehmen Baltimore ist übrigens auch lohnenswert. Die Firma brilliert mit einer Pressemeldung, in der sie wähnt, das erste Unternehmen zu sein, das einen wirksamen Schutz vor der "Hacker-Kommunikationssoftware" Peakabooty besitzt. Kleiner Schönheitsfehler: Das vom Cult of the dead Cow entwickelte Programm soll erst auf der Defcon in Las Vegas vorgestellt werden. Alles, was Baltimore entwickelt hat, basiert daher nach Auskunft der Firma auf Pressemeldungen zu Peakabooty. Offensichtlich war hier ein guter Newsplex am Werk.

Was wird

*** Ja, man sollte wirklich die Scheu vor Robotern abbauen. Telepolis wird sicherlich eines Tages von Polis-Bots gemacht und bei heise online werden immer mehr Tastaturen gesichtet, die in der Nacht gespenstisch blinken, wenn kein Schwein außer dem Redaktionsmasskottchen Bobo durch die Räume spukt. Und wo bleibt da Hal?

*** Das bringt uns unversehens zu den großen Kämpfen. Jenen, die uns wirklich wichtig sind, wie etwa Muhammad Ali gegen Joe Frazier oder Microsoft gegen Open Source. Am 26. Juli soll es zum finalen Showdown zwischen Craig Mundie und Michael Tieman kommen. Dabei sollen nicht etwa die besseren Waffen, sondern die besseren Argumente siegen. Welche Argumente dafür gesprochen haben, Genf als Standort für den World Summit of the Information Society auszusuchen, den die UNO im Dezember 2003 ausrichten will, ist nicht recht erkenntlich. Wohl zum Ausgleich vergab man in der vergangenen Woche den zweiten Summit im Jahre 2005 an die Stadt Tunis. Ursprünglich sollten die Summits, an denen alle Menschen mit Online-Zugang online gehen sollen, in einer südafrikanischen Stadt starten. Die Bewerbungen wurden angeblich fallen gelassen, weil in Südafrika Voice over IP als Telefontechnik verboten werden soll. Da die Gerüchte aber Gerüchte sind, müsste hier ein Disclaimer hin. Doch den haben in dieser Woche schon die geschätzten Kollegen vom Register veröffentlicht. Hal Faber / (em)