Hintergrund: Die ICANN macht Politik, nicht Technik

Der Siemens-Manager Helmut Schink, im ICANN-Direktorium vertreten und bereits auf der am Montag beginnenden Jahresversammlung dabei, sieht die Internet-Verwaltung eher als Gremium politischer Entscheidungen.

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Von
  • Monika Ermert

Bei allem Rummel um die Wahl von fünf regionalen Direktoren für die Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) durch die ICANN-Mitglieder hat man ihn beinahe übersehen: Als erster Vertreter aus Deutschland rückte auf Vorschlag der International Telecommunications Union (ITU) der Siemens-Manager Helmut Schink in das 19-köpfige Direktorium der Organisation. Schink sieht die ICANN eher als Gremium politischer Entscheidungen – über Protokollstandards diskutiert man anderswo.

Nach mehreren Jahren als Entwickler von Halbleiterbauteilen ist Schink heute Director Advanced Networks Standards und für IP und Breitband-Standardisierungsfragen verantwortlich. Unter anderem koordiniert er das ETSI-Projekt TIPHON, das sich mit der Integration von IP-Telefonie und herkömmlichen Telefon-Standards befasst. Daneben ist Schink bei der ITU und im Industrieberatergremium der Internet Society (ISOC) aktiv, kennt also die Standardisierungs- und Selbstregulierungsszene des Internets recht gut. Die Aufgabe der ICANN sieht er vor allem in der Koordination bereits bestehender Gremien. Zum so genannten At-large-Mitbestimmungsmodell für die Endnutzer bei der ICANN hat er ein gespaltenes Verhältnis. Schinks Vorteil gegenüber dem neuen At-large-Direktor Andy Müller-Maguhn: Bei der am Montag beginnenden Jahrestagung der ICANN in Marina del Rey bei Los Angeles sitzt er bereit im Board und entscheidet mit.

heise online: Was oder wer hat Sie zur Kandidatur bewogen?

Helmut Schink: Es war eine Idee der Firma, die sich damit ganz klar im Bereich Internet positionieren will. Gerade mit dem Siemens-Bereich Information and Communication vollziehen wir momentan einen Schwenk, weg von der traditionellen Telefonie-Technik hin zum Internetgeschäft. Auch für ursprünglich reine Technikprovider wie Siemens hat die wachsende Bedeutung des E-Business einen anderen Umgang mit dem Medium mit sich gebracht. In dieser Gesamtstrategie wird auch die Beteiligung an einem Gremium wie der ICANN wichtig. Ich habe mich also vor einem Jahr schon einmal im Auswahlverfahren der Protocol Supporting Organization (PSO) beworben, habe dann aber zu Gunsten eines anderen Bewerbers zurückgezogen. Bisher habe ich die ICANN-Sitzungen nur per E-Mail und Mailinglisten verfolgt und eben an den PSO-Treffen teilgenommen.

heise online: Welche Firmeninteressen oder Interessen von ETSI, die Sie der PSO vorgeschlagen hat, gedenken Sie denn in der ICANN zu vertreten?

Schink: Es gibt natürlich ein paar Ideen in unserem Haus dazu, allerdings kann ich dazu im Moment noch nichts sagen. Ich bin jetzt erst einmal auf drei Jahre gewählt worden. Ein explizites Mandat beispielsweise von der ITU habe ich nicht. Zunächst einmal steht die Aufgabe im Vordergrund, dafür zu sorgen, dass die ICANN als Organisation gut funktioniert und dass ihre Finanzierung gesichert wird.

heise online: Das hört sich eher nach Verwaltung der Verwaltung als nach inhaltlichen Aufgaben an. ICANN bezeichnet sich aber doch immer als technisches Gremium?

Schink: ICANN ist natürlich ein neues Gremium, dessen Aufgabenstellung noch diskutiert wird. Meiner Meinung nach ist die Arbeit aber sehr wenig technisch orientiert. Es geht vielmehr sehr deutlich um Politik. Beispielsweise ist in den zwei Jahren seit dem Bestehen wenig im Bereich Protokolle gelaufen.

heise online: Würden Protokollorganisationen – ETSI, W3C, ITU und IETF – der ICANN die Entscheidungen über Protokolle überhaupt abgeben?

Schink: Also, nein. Die Standardisierungsprozesse funktionieren dort ja alle schon. Mit der ICANN beziehungsweise der PSO wurde eben ein neues Gremium geschaffen, das man nun auch beachten muss. Man kann vielleicht sagen, dass mit der Etablierung der PSO, wo man im Übrigen auf Leute stößt, die man ohnehin in den Standardisierungsdiskussionen trifft, ein gewisser heilsamer Zwang zur Kooperation entstanden ist. Es besteht ja durchaus ein gewisses Konkurrenzverhältnis zwischen den verschiedenen Organisationen, die ICANN ist nun so etwas wie ein Super-Gremium. Ich hoffe aber, dass sie sich daran hält, und die Diskussion über die Protokolle den Standardisierungsorganisationen überlässt.

heise online: Was wäre mit Blick auf die Protokollstandards dann ICANNs Aufgabe, sagen wir einmal zum Beispiel bei den mehrsprachigen Domains, für die die IETF derzeit einen Standard erarbeitet?

Schink: Die IETF macht die technische Arbeit. ICANN müsste einen dort verabschiedeten Standard dann absegnen und für dessen Durchsetzung sorgen. ICANN sorgt damit vielleicht für eine Art globaler Harmonisierung.

heise online: Reicht das aus, um die Existenz der Organisation zu rechtfertigen? Es gab ja durchaus Überlegungen, bestehende Institutionen, etwa die ITU, mit der Aufsicht des Domain Name System zu beauftragen.

Schink: Die ICANN ist inzwischen meiner Einschätzung nach anerkannt. Die Idee war es ja auch, eine Selbstregulierung ohne Regierungsbeteiligungen zu haben. Die ITU, die einmal als Alternative gehandelt wurde, hat das anerkannt. Außerdem geht es auch noch etwas darum, die amerikanische Regierung als Sponsor rauszudrängen. Das ist sicher ein Bereich, in dem in nächster Zeit noch etwas zu tun ist.

heise online: Sind Sie auch die deutsche Stimme im Board?

Schink: Wenn überhaupt würde ich mich als Vertreter europäischer Interessen sehen. Siemens ist schließlich ein internationales Unternehmen und die deutschen Interessen decken sich mit der EU-Position.

heise online: Zwei Themen werden das ICANN-Board bei der Sitzung in Los Angeles sehr nachhaltig beschäftigen, zum einen die neuen Top Level Domains, zum anderen die Mitbestimmung der Endnutzer über die At-large-Direktoren. Haben Sie schon Präferenzen für den einen oder anderen Vorschlag bei den neuen TLDs?

Schink: Ich möchte mich da eigentlich noch weit gehend zurückhalten. Erst einmal will ich die Auswahlkriterien genau anschauen. Verfahren und Thematik sind ja überaus komplex. Ich werde mir auch mal anhören, was in Los Angeles dazu gesagt wird. Ich bin vielleicht anders als Andy Müller-Maguhn eher jemand, der sich erst einmal einarbeitet und die Leute kennen lernt, bevor er mit einem Programm an die Öffentlichkeit geht. So habe ich das bei den anderen Internet-Gremien kennen gelernt. Bei den neuen TLDs erscheinen mir vorerst zwei Aspekte bedenkenswert. Die Entscheidungen für neue TLDs müssen nachvollziehbar sein und die ausgewählten Vorschläge sollten eine möglichst große Nutzergemeinde adressieren.

heise online: Was sagen Sie zu Vorschlägen bezüglich Top Level Domains auf der Basis von Telefonnummern?

Schink: Hier arbeitet die ITU gemeinsam mit der IETF an einem Verfahren, Telefonnummern auf URLs abzubilden. Sie ist damit allerdings noch nicht im laufenden Verfahren angetreten, weil bestehende TLDs, etwa arpa verwendet werden. Bewerbungen diesbezüglich würde ich also erst einmal für nicht reif halten.

heise online: Wie beurteilen Sie das jetzige Antragsverfahren und die Gebühr?

Schink: Wie gesagt, ich will mich da erst noch einarbeiten. Die Vorab-Gebühr von 50.000 US-Dollar pro Domain erscheint mir allerdings schon relativ hoch. Zumal die ausgewählten Domains meiner Meinung nach nicht einer bestimmten Firma gehören können, sondern für alle Marktteilnehmer nutzbar sein müssen.

heise online: Einige Direktoren in der ICANN halten die Mitbestimmung durch die Endnutzer für nicht zwingend. Ein Flugzeugpassagier habe auch keinen Einfluss auf technische Standards in Passagiermaschinen, heißt es. Was halten Sie von den At-large-Wahlen?

Schink: Die Mitbestimmung durch die Endnutzer ist sicherlich in dieser Form ein Novum und ich halte das auch für gar nicht schlecht. Sicher ist für die wirklichen Endnutzer – so wie im Beispiel mit den Flugzeugen angesprochen – entscheidend, dass sie gute Standards bekommen. Es ist wirklich fraglich, ob sie nun in die Diskussion darum eingreifen können müssen. Das Internet ist aber in einer Hinsicht ein Sonderfall: Wir haben hier relativ viele Enduser, die auf einem relativ hohen Niveau das Medium nutzen. Ich denke auch, dass wir bei der auch relativ kleinen Zahl registrierter ICANN-Nutzer eben nicht so sehr den klassischen Endbenutzer bekommen, sondern die Freaks.

heise online: Wie soll man also Ihrer Meinung nach mit den derzeit weiterhin mit Interimsdirektoren besetzten vier At-large-Sitzen verfahren?

Schink: Man sollte sicher gut darüber nachdenken, wie man weiter verfährt. Es ist schon die Frage, wie sinnvoll die Diskussion beispielsweise von Protokollstandardfragen auf breiter Ebene ist. Würde man zum Beispiel die Integration von Abhörschnittstellen auf breiter Ebene diskutieren, dann gerät man leicht in einen fürchterlichen Strudel. Jeder hat dann etwas zu sagen.

heise online: Da wird Ihnen Ihr Kollege Müller-Maguhn sicher widersprechen?

Schink: Kann schon sein, dass es hier einen Interessenskonflikt gibt. Prinzipiell sehe ich der Zusammenarbeit ganz offen entgegen.

heise online: Sind Sie für die gleichberechtigte Vergabe der 18 Sitze an At-large- und Industrievertreter?

Schink: Im Prinzip ja. Die At-large-Vertreter kommen allerdings auch aus Unternehmen. Also ich denke, man sollte die Studie abwarten. Es gab ja noch eine ganze Reihe von Problemen jetzt bei der Wahl. Dann kann man aber durchaus bei dem ursprünglich vorgesehenen Modell bleiben.

(Monika Ermert) / (jk)