iX 7/2016
S. 3
Editorial
Juli 2016
Jürgen Seeger

Die Antwort auf keine Frage

Haben Sie sich schon einmal gewünscht, dass Ihnen Ihr Office-Programm einen gerade freien Freelancer empfiehlt, wenn es nicht so recht weitergeht? Ich auch nicht. Diese „Vision“ hat aber Microsoft-Chef Nadella, wenn er von der Übernahme des selbsternannten Business-Networks LinkedIn schwärmt: „… Office suggesting an expert to connect with via LinkedIn to help with a task you’re trying to complete.“

Immerhin war das eine der konkretesten Aussagen, wenn es um die Begründung für den 26-Milliarden-Dollar-Deal ging. Bei solchen Summen darf auch keine falsche Bescheidenheit das Bild trüben: „We seek to empower every person and organization on the planet.“

Aber vor der Rettung der Welt geht es um die Mühen des Konkreten. Etwa die Frage, welchen Nutzen 433 Millionen LinkedIn-Accounts für Microsoft darstellen könnten. Jeder von ihnen ist den Redmondern gut 60 Dollar wert. Macht man diese Rechnung für die 105 Millionen aktiven User pro Monat auf, sogar fast 250 Dollar.

Das sind viele Kontaktmöglichkeiten und Chancen zum „Networking“. Nur richtig Geld verdient wurde damit noch nie. In guten Zeiten lag die Umsatzrendite im niedrigen einstelligen Bereich. Seit 2014 werden rote Zahlen geschrieben. Für 2015 musste LinkedIn einen Verlust von 166 Millionen US-Dollar melden, bei einem Umsatz von rund 3 Milliarden. Der Börsenkurs brach um ein Drittel ein.

Natürlich schoss der LinkedIn-Kurs nach Bekanntgabe der Übernahmepläne in die Höhe (+43 %). Für die Aktionäre des sozialen Netzwerks gleicht der Kauf durch Microsoft einem Geschenk des Himmels, Gleiches gilt für die Mitarbeiter, die signifikante Gehaltsanteile in Form von Aktien erhalten.

Bei den Microsoft-Aktionären überwog die Skepsis, das Papier musste einen Kursverlust von 4 Prozent hinnehmen. Denn ob die größte Akquisition in der Microsoft-Geschichte erfolgreicher ausgeht als die glücklosen Versuche des Nadella-Vorgängers Ballmer mit Nokia oder aQuantive, steht in den Sternen.

Wirklich treffen wird aber die Redmonder nicht einmal ein Totalverlust des LinkedIn-Invests. Denn es liegen immer noch über 100 Milliarden auf der hohen Kante. Da wäre dann der Worst Case nicht mehr als eine 26-Milliarden-Dollar-Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat.

Unterschrift Jürgen Seeger Jürgen Seeger