iX 10/2017
S. 98
Report
Kundenbeziehungsmanagement
Aufmacherbild

CRM, Bots und künstliche Intelligenz

Automatische Kundenversteher

Aus der Kombination von Spracherkennung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz entstehen neue Möglichkeiten in der Kundenkommunikation, die sowohl Support als auch Marketing entlasten und verbessern können. Allerdings ist der Weg dahin nicht trivial.

Die Idealvorstellung von Kundenkommunikation 2020 ist ein Customer Contact Center, das die zentrale Annahme- und Verteilungsrolle für alle Formen der Kundenkommunikation übernimmt.“ Das sagt Nils Hafner, Professor für CRM an der Hochschule Luzern. Er hat dabei natürlich im Blick, dass die bislang fragmentierten Landschaften der Kundenkommunikation integriert werden, um dem Nutzer ein stimmiges Gesamtbild zu vermitteln. Und dass ein nahtloser, für den Kunden meist unbemerkter Übergang zwischen automatisierten Systemen und dem menschlichen Agenten dann vollzogen wird, wenn die jeweilige Aufgabe das erfordert. Sebastian Kriegel, Customer Experience Manager bei Philips, erläuterte im Rahmen der Rethink!, einer CRM-Veranstaltung in Hamburg: „Bei uns wird aus dem automatisierten Chat in einen Chat mit dem Serviceagenten übergeben und im Idealfall merkt der Kunde das gar nicht.“

Kosten zu sparen und gleichzeitig einen besseren Service anbieten zu wollen, sind sich widersprechende Anforderungen. Funktioniert alles reibungslos, trägt eine Serviceoptimierung unmittelbar zum Gewinn bei. „Bei der UBS in der Schweiz sind 35 Prozent aller Telefonkontakte Fragen nach dem Kontostand, da kann ein Bot wirklich sinnvoll eingesetzt werden“, sagt Hafner. Aber wehe, wenn etwas schiefgeht. Kriegel dazu: „Was früher einfacher Reparaturservice war, ist heute Marketing.“ Das bedeutet, dass Fehler potenziell nicht nur einen Kunden verärgern, sondern viele, sobald sich das via Social Media herumspricht.

„Wir sind sehr vorsichtig bei der Automatisierung des Frontends“, meint eine Sprecherin von Vodafone. „Sie sind ja auch ein wichtiger Moment des Kundenkontakts.“ Telekommunikationsanbieter wie Vodafone wissen am besten, wie schmal der Grat zwischen Serviceoptimierung und Kundenverprellung ist. Sie haben mit vielen technischen Lösungen in den letzten zwei Jahrzehnten auch immer wieder Schiffbruch erlitten.

Künstliche Intelligenz kann helfen

Doch Georg Rehm, Computerlinguist und Sprachtechnologieforscher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), erwartet, dass sich die Qualität der automatisierten Lösungen in den nächsten Jahren radikal zum Guten ändern wird. Nicht umsonst investieren Großunternehmen wie Toyota Milliarden in diesen Forschungsbereich. Sie versprechen sich bessere Produkte, aber vor allem auch bessere und effizientere Kommunikation. Toyota hat sich fest im Silicon Valley verankert und sucht permanent nach spannenden Start-ups, in die es sich zu investieren lohnt. Zu diesem Zweck wurde beispielsweise die Toyota AI Ventures gegründet und mit einem Startkapital von 87,26 Millionen Euro ausgestattet. Damit investiert man unter anderem in das in Israel beheimatete Intuition Robotics, das sich mit der Entwicklung sozialer Assistenztechnologie beschäftigt. Es bereichert schon das Leben von Millionen älterer Menschen, indem sie mit Familien und Freunden vernetzt werden und Zugang zu neuen Technologien finden, die einen aktiven Lebensstil ermöglichen. Ein sehr weit gefasster und visionärer Begriff von Mobilität und Kundenpflege aus Sicht eines Automobilkonzerns.

Erst die Summe der verschiedenen Entwicklungen der letzten Jahre macht KI auch für das CRM relevant (Abb. 1).

Rehm ist der Auffassung, dass 2017 das Jahr ist für größere Veränderungen. Endlich stehe genug Rechnerleistung zur Verfügung, mit der man selbst äußerst komplexe Anwendungen in kurzer Zeit und bei vertretbaren Kosten durchrechnen könne. Das Paradebeispiel dafür sei die Spracherkennung, und die stehe im Zeitalter des Smartphones sinnbildlich für effektive Kundenkommunikation. Erst durch die Kombination aus Sprachtechnologien, der Auswertung und Interpretation von Daten über Machine Learning und KI, dem Zugriff auf Big Data und der Verarbeitung dieses Datenwusts in immer schnelleren und günstigeren Strukturen könne die Vision einer auf künstlicher Intelligenz basierenden CRM Wirklichkeit werden. Und das gehe schnell. „Bereits heute befassen sich 48 Prozent aller Start-ups aus dem Bereich künstliche Intelligenz mit Themen, die mittelbar der Kundenkommunikation oder dem Marketing dienen“, so Rehm.

Wenn Chatbots Chinesisch lernen

Offensichtlich bekommt der Bereich Chatbots derzeit die meiste Aufmerksamkeit. Das mag daran liegen, dass das Thema nicht neu ist. Dialogassistenten gibt es schon seit Jahren. Bereits in den 60ern stellte Joseph Weizenbaum Eliza vor, die Urmutter der Chatbots. Ende der 90er-Jahre experimentierten viele Unternehmen mit webbasierten Bots, etwa der Stromanbieter Yello mit seiner virtuellen Assistentin Eve, die sogar erotische Anspielungen geistreich kontern konnte.

KLM hat das Vorzeigebeispiel für automatisierten Service entwickelt: Der Bot begleitet den Kunden bei seinem Flug (Abb. 2).

Mit Cortana und Siri fand diese Technik 2014 den Weg in verbreitete Betriebssysteme. Dieser Tage konzentriert sich das Gros der Bemühungen auf Messenger-Bots für Facebook. KLM hat einen Bot entwickelt, der den Nutzer bei seinem Flug begleitet und ihm immer die kontextrelevanten Informationen zur Verfügung stellt, etwa wo der Anschlussflug startet oder auf welchem Band der Koffer angerollt kommt.

Das DFKI arbeitete beispielsweise jahrelang an Verbmobil, einem automatisierten Übersetzer. Es liegt auf der Hand, welche Kostenvorteile ein solches System haben kann, wenn es bei einem internationalen Unternehmen im Support eingesetzt wird. Man denke zum Beispiel an die zahlreichen Firmen, die gerade beginnen, mit China Handel zu treiben und dem serviceverwöhnten chinesischen Kunden natürlich Unterstützung in Mandarin anzubieten haben. Viele der zwischen 1993 und 2000 im Rahmen von Verbmobil entwickelten Verfahren finden sich heute in modernen Dialogsystemen wieder.