iX 10/2017
S. 92
Report
Digitalisierung
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Digitalisierung ist Chefsache – was heißt das?

Und was macht der Chef?

Es gibt viele Ratgeber zur Digitalisierung oder digitalen Transformation. Häufig bleiben sie in der Vogelperspektive und werden nicht konkret. Zeit, dass das anders wird.

Wenn ich ,Digitalisierung‘ höre, bekomme ich Pickel.“ Dieses authentische Zitat des Vorstands eines mittelständischen Unternehmens könnte auf viel Zustimmung bei Leidensgenossen stoßen. Hunderte oder Tausende Artikel fluten seit Monaten die Wirtschaftspresse. Dutzende Konferenzen von nahezu jedem Branchenverband ergänzen den medialen Overkill. Und jetzt auch noch iX, als Magazin für professionelle IT doch seit eh und je Fachblatt für die Digitalisierung?

Es wird viel darüber gesprochen, dass Digitalisierung stattfindet, dass sie wichtig ist, dass sie unwichtig ist, dass Deutschland den Anschluss verschläft, dass Deutschland gut aufgestellt ist und so weiter. Kurz gesagt: Wer eine Meinung zum Thema hat, wird eine geeignete Publikation finden, die diese Meinung bestätigt. Alles ist gut in Deutschland. Richtig! Alles ist schlecht in Deutschland. Auch richtig!

Ein häufiges Problem bei diesen Aussagen ist: Es fehlen konkrete, bodenständige erste Handlungsschritte. In einer Artikelserie, deren Auftakt dieser Beitrag darstellt, versucht iX, diesen Mangel wenigstens teilweise zu beheben.

Wo anfangen? Eine grobe Orientierung liefert der Bitkom, der Digitalverband Deutschlands. Dort ist im vergangenen Jahr erstmals ein Leitfaden erschienen, der Unternehmen „in 10 Schritten digital“ machen will [1]. Im Mai 2017 erschien der Leitfaden in der zweiten Auflage. Ein guter Ansatz, gute Inhalte und gleichzeitig geht der Text wenig in die Tiefe. Das wollen wir hier nachholen. Der erste Schritt lautet dort: „Machen Sie Digitalisierung zur Chefsache.“

Digitalisierung == Chefsache

Wer beschäftigt sich mit der Digitalisierung? Bei kleinen, weniger digitalisierten Unternehmen (Cluster 1, blau) sind die IT-Leiter stärker gefordert, bei großen, stärker digitalisierten Unternehmen (Cluster 2, grün) ist die Einbindung der IT-Mitarbeiter höher (Abb. 1). Quelle: Deloitte: Digitalisierung im Mittelstand [6]

Um diesen Schritt geht es hier und heute. Dabei sind folgende Fragen als erste zu beantworten:

1. Warum soll Digitalisierung Chefsache sein?

2. Wie macht ein Chef, der sich mit Digitalisierung nicht auskennt, das Thema zur Chefsache?

3. Was bedeutet der Begriff Digitalisierung (und andere Begriffe) eigentlich?

Wir fangen mit dem dritten Punkt an. Chefs von „analogen“ Firmen und ihre „digitalen“ Mitarbeiter oder auch ihre Dienstleister verstehen sich nicht immer blind. Offensichtlich ist IT für viele ein Buch mit sieben Siegeln. Umso wichtiger ist eine Kommunikation, die sicherstellt, dass sich beide Seiten verstehen.

Der erste Schritt in der Kommunikation besteht darin, Einigkeit über die Bedeutung der zentralen Begriffe herzustellen. Kurz: Was ist Digitalisierung? Vermutlich hat jeder, der diese Frage liest, gleich eine Antwort parat. Und das ist das Problem: Jeder hat eine Antwort, aber nicht alle haben dieselbe. Selbst unter Digitalisierungsexperten gibt es abweichende Sichtweisen.

Daher lautet ein erster und wichtiger Rat: Klären Sie unternehmensintern, was Sie unter „Digitalisierung“ verstehen. Wenn Sie dann mit externen Partnern, Dienstleistern und so weiter zu tun haben, stellen Sie sicher, dass zwischen Ihnen die gleiche Terminologie zum Einsatz kommt.

Was heißt Digitalisierung?

Doch Vorsicht: Wenn der Begriff schon länger in Ihrem Unternehmen kursiert, kann die Frage „Was verstehst du unter Digitalisierung?“ entlarvend wirken. Man kann sie so interpretieren, dass der Fragesteller keine Ahnung von Dingen hat, „die doch jeder weiß“. Oder der Befragte fühlt sich in eine Ecke gedrängt, nämlich dann, wenn er keine gute Antwort parat hat. Man sollte hier klarmachen, dass es nicht um Wissen oder Unwissen geht, sondern um Konsens.

Um das Gespräch in Gang zu bringen, folgt ein Vorschlag für eine Definition. Ihr liegt die Absicht zugrunde, den Begriff nicht mit zu viel Bedeutung aufzuladen. Sonst weiß niemand, welche der vielen Bedeutungen ein Gesprächspartner meint, wenn er den Begriff benutzt.

Deshalb fangen wir klein an: Digitalisierung ist laut Wikipedia „die Überführung analoger Größen in diskrete (abgestufte) Werte“ (siehe „Alle Links“). Das klingt nach Scanner, Digitalfotografie und Musik-CD. Folgt man dem Link auf die entsprechende Seite, wird es spannender. Demnach sprechen wir auch über die Umwandlung „von Prozessen, Objekten und Ereignissen, die bei einer zunehmenden Nutzung digitaler Geräte erfolgt. Im ursprünglichen und engeren Sinne ist dies die Erstellung digitaler Repräsentationen von physischen Objekten, Ereignissen oder analogen Medien. Im weiteren (und heute meist üblichen) Sinn steht der Begriff insgesamt für den Wandel hin zu digitalen Prozessen mittels Informations- und Kommunikationstechnik.“

Ist die Digitalisierung schon durch?

Bemerkenswert ist hier die Einbeziehung von Unternehmensprozessen. Die Digitalisierung hat also (auch) zum Gegenstand, einen Ablauf, ein Produkt oder ein Betriebsmittel zunächst unter Beibehaltung wesentlicher Charakteristika in digitaler Form zu reproduzieren. Eine radikale Veränderung steht dabei gerade nicht im Fokus. Die E-Mail ersetzt den Geschäftsbrief, PowerPoint ersetzt Folien, Skype ersetzt das Telefon, Scannen und digitale Ablage ersetzen Kopieren und Aktenschrank und so weiter.

Dieses Begriffsverständnis ist eher konservativ, sorgt aber für eine klare Abgrenzung zur „digitalen Transformation“, bei der eine wesentliche Verwandlung hinzukommt; dazu später. Ein Einwand, der mir entgegengebracht wurde, lautet: „In diesem engen Sinne ist in Deutschland für die Digitalisierung nichts mehr zu tun. Es gibt keine analogen Prozesse mehr in der Industrie.“ Hat der Digitalisierungsexperte, der das gesagt hat, den Nagel auf den Kopf getroffen oder leidet er an einer Wahrnehmungsstörung? Weder noch! Es kommt schlicht darauf an, welchen Ausschnitt der deutschen Wirtschaft man betrachtet. Wer nur in einer Branche unterwegs ist, kann seine Beobachtung leicht übergeneralisieren und als allgemeingültig einschätzen.