iX 4/2017
S. 3
Editorial
April 2017
Oliver Diedrich

Linux ist schuld?

Die Stadt München will ihre Arbeitsplatzrechner von Linux auf Microsoft-Software umstellen, das hat der schwarz-rote Stadtrat so beschlossen. Die Münchner IT-Verantwortlichen sind überrascht – Karl-Heinz Schneider, Leiter des stadteigenen IT-Dienstleisters IT@M, sieht keine „zwingenden technischen Gründe für einen Wechsel zu Windows und Microsoft Office“ –, die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten spricht von einer „katastrophalen Fehlentscheidung“ und Interessengruppen der Open-Source-Welt von der FSFE bis zur Document Foundation beklagen eine ideologische Entscheidung gegen Linux und freie Software.

Eine ideologische – oder sagen wir lieber: politische – Entscheidung? Ja, sicherlich. Aber auch die Entscheidung des rot-grünen Stadtrats für Linux, damals, vor 14 Jahren, war eine politische. Als Hauptmotiv für den Umstieg nannte man vor allem Herstellerunabhängigkeit, nicht etwa wirtschaftliche oder gar technische Vorzüge von Linux. Der damalige Oberbürgermeister Ude sprach von einem „richtungsweisenden Grundsatzbeschluss“, als er seinen Stadtrat über die Migration abstimmen ließ: Linux war 2003 ein boomendes Trend-Thema, das einer IT-Metropole gut zu Gesicht stand.

Mittlerweile haben sich die politischen Verhältnisse in München geändert. SPD-OB Reiter ist bekennender Microsoft-Fan und die CSU, die von Anfang an mit Linux gefremdelt hat, stellt die stärkste Fraktion. Mit geänderten Mehrheiten gehen geänderte Entscheidungen einher, das ist in einer Demokratie so. Mit der Frage, ob Linux als Behörden-Desktop taugt oder nicht, hat das nichts zu tun.

Heutzutage ist aber auch die Situation des Linux-Desktops eine andere. Als in München der Beschluss zur Linux-Migration gefasst wurde, gab es auch in anderen Behörden Überlegungen oder konkrete Schritte in Richtung Linux und Open-Source-Software. So arbeitete das BSI an einem Behörden-Desktop, das Auswärtige Amt nutzte Linux in seinen Auslandsvertretungen, die niedersächsische Polizei stellte auf Linux-Arbeitsplatzrechner um. München hätte innovativer Vorreiter eines Trends sein können.

Daraus ist nichts geworden, die Münchner IT ist mit ihrem Linux- und Open-Source-Desktop weitgehend alleine geblieben und musste entsprechend viel Entwicklungs- und Überzeugungsarbeit selbst leisten. Das macht es einfach, alle IT-Probleme auf den eingeschlagenen Sonderweg zu schieben und den Schwenk zum „Standard Microsoft“ als pragmatische Lösung zu verkaufen. Zumindest ist dann irgendwann nicht mehr Linux schuld, wenn die IT klemmt.

Unterschrift Oliver Diedrich Oliver Diedrich