iX 7/2017
S. 3
Editorial
Juli 2017
Moritz Förster

König Rindvieh

Alles hat ein Ende, und bei einem Cloud-Dienst bricht es unter Umständen richtig drastisch über den Nutzern zusammen. Jüngstes Beispiel: Microsofts Docs.com. Ein Portal, das Anwender zum öffentlichen Zurschaustellen ihrer Dokumente verwenden sollten. Nach dem Kauf von LinkedIn mussten die Redmonder entdecken, dass sie mit dem im Portfolio enthaltenen SlideShare plötzlich noch einen solchen Dienst anboten. Kurzer Prozess, Docs.com macht Ende des Jahres einschneidende Bekanntschaft mit dem Beil. Wer bis dahin nicht migriert, verliert seine Daten.

Nun ist das Aus für Docs.com kein Drama für hiesige Unternehmen. Jeder auch nur ansatzweise um seine Datensicherheit besorgte Verantwortliche hört bei einem solchen Portal die Alarmglocken tönen. Doch wirft der Vorgang einen bedenklichen Schatten auf das derzeitige Gebaren zu vieler Cloud-Anbieter: Kunden sind ihnen im Zweifelsfall hilflos ausgeliefert. Und wenn sie – ganz nach dem Wunsch der Provider – gleich ihre essentielle oder gar komplette Infrastruktur ins externe Rechenzentrum verschoben haben, können die meisten Firmen nach einem solchen Federstreich ihren Geschäftsalltag nicht mehr bewerkstelligen.

Niedrigere Kosten und eine höhere Flexibilität versprechen die Anbieter gerne, doch so packen sie ihren Kunden die ständige Furcht vorm plötzlichen Ende mit ins Cloud-Paket. Sollten Unternehmen also lieber wieder alles im eigenen Haus betreiben, in die wohligen Zeiten eines SBS und Windows 7 fliehen? Definitiv nicht, denn wie gerade Ersterer zeigt, können Microsoft und Konsorten klassische Software ebenso absägen. Zwar läuft dann der Server noch, aber ohne wenigstens die wichtigsten Security-Updates stehen Administratoren über kurz oder lang vor demselben Desaster.

Die Anbieter haben es selbst in der Hand. Wenn sie auf offene und unabhängige Standards setzen, sich Infrastruktur wie Anwendungen nach Belieben in eine konkurrierende Cloud oder sogar zurück ins eigene Rechenzentrum verschieben lassen, dann müssen ihre Kunden sich weder vor dem plötzlichen Wegfall ihrer Dienste noch dem Verpuffen ihrer IT-Investitionen fürchten. Sicher, das kann Microsoft nicht alleine garantieren, dafür müssen auch Google, Amazon und viele mehr mit ins Boot.

Und es wäre nicht nur im Interesse ihrer Nutzer, auch die Konzerne selbst würden langfristig davon profitieren. Noch glänzen die Zahlen vielleicht, doch Kunden spüren schnell, wenn sie zum Melkvieh verkommen und aus dem einst verlockenden Gehege nicht mehr entkommen sollen. Umso drastischer, wenn sich die nach einer vergleichbaren Abkündigung einsetzende Stampede plötzlich auf zur grüneren Wiese macht. Zurück kommt keiner mehr und die gerade noch so prallen Zahlen purzeln in sich zusammen.

Bei einer solchen Macht müssen und können die Nutzer darauf bestehen, dass Anbieter die Interessen ihrer Kunden an erste Stelle setzen. Gefühlt monatliche Preiskämpfe zwischen AWS und Azure beweisen aber, dass derzeit zu oft einfach der billigste Provider den Zuschlag bekommt.

Unterschrift Moritz Förster Moritz Förster