Luxus kostet: Test Mercedes-Benz EQS 580

Seite 2: Fetter Luxus

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Das Versprechen löst das Auto ein. Während wir die versprochenen Herstellungsmethoden schwer nachprüfen können, geht der EQS auch im Winter (für ein Luxusauto) recht effizient mit Ressourcen um, mit Strom, mit Platz (Wendekreis!), mit Protz, mit Verschleißteilen. Die Stärken, die ich im Sommer beschrieb, machen Ihnen den Winter genauso angenehm. Da das Auto von außen eher unauffällig wirkt, betrifft das Erleben hauptsächlich die tolle Kabine.

Die S-Klasse vererbte dem EQS ihr Fülligkeitsgefühl aus fetten Bedienelementen. Beim Nähern an das Fahrzeug fahren sich fette Griffe aus dem fetten Autoblob aus. Beim Türeschließen muss die Hand hinter die fette Türkonsole greifen. Die fette Türe bleibt per Servo auf jeder Position stehen, benötigt jedoch mehr Kraft als mechanische Rastungen, um wieder zu lösen. Dann lässt man sich in die fetten Sitze fallen und greift das fette Lenkrad. "Hey, Mercedes! Schalte mir die Lenkradheizung ein, ok?" Und damit geht es ab ins stille Gleiten, auf Wunsch untermalt von der fein auflösenden Hifi-Anlage.

Mercedes EQS 580 innen (23 Bilder)

Großer, flacher Kofferraum hinten. Dafür kein Kofferraum vorne.
(Bild: Clemens Gleich)

Im EQS 580 Serie: der "Hyperscreen", eine Glasplatte quer über das vordere Armaturenbrett, unter der drei Bildschirme leuchten: Tachoeinheit, große Mittelkonsole, kleinerer Beifahrerbildschirm. Diese Konfiguration wirkt sehr edel, sehr futuristisch und lässt sich obendrein sehr gut reinigen, weil es keine Ritzen gibt. Im EQS 450+ zahlt man fette 8568 Euro Aufpreis für den Hyperscreen. Wirklich brauchen tut man ihn nicht, das Seriensystem kann dasselbe, und für 8568 Euro kann ich eine Menge iPads für Beifahrer kaufen. Optional gibt für die Rückbank an den Vordersitzen montierte Infotainment-Bildschirme, auf denen Passagiere dann wie im Flugzeug sowohl Unterhaltung als auch Fahrzeugtelematik abrufen. Auch hier tendiere ich persönlich dazu, die Rückbänkler mit iPads auszustatten.

Mercedes' Sprachbedienung bleibt marktführend. Die Kombination aus hoher Onboard-Leistung mit transparenter Cloud-Unterstützung arbeitet in allen Empfangs-Situationen sehr gut, und es ist sehr selten, dass man zweimal fragen muss. Leider haben sich seit dem Sommer ein paar Fehler eingeschlichen. Die Sprachsteuerung schaltet zum Beispiel wie gehabt die Ambientebeleuchtung aus, doch das Licht geht nach einer Zehntelsekunde wieder an und nur per Hand aus. Die Fenster fahren zum Öffnen der Türen aus der Dichtung herunter, aber manchmal nicht ganz wieder hoch. Zum Glück sind das Kleinigkeiten, die bei der nächsten Überarbeitung der Software entfernt werden können.

Die Fahr-Automatisierung schafft es weiterhin, sehr wenig zu nerven, weil sie kaum Fehler macht. Schilder liest sie fast immer richtig, Limitfehler aus dem Kartenmaterial sind entweder schon in der Mercedes-Cloud korrigiert oder ein Schild hat Priorität. Wichtig auch: Beim automatisch eingestellten Tempomaten fährt das System StVO-gerecht, beschleunigt also erst am höherwertigen Schild und nicht schon, wenn die Kamera das Schild sieht. Genauso nimmt der Tempomat frühzeitig Antriebsleistung zurück, um am nächsten niederwertigen Schild bereits korrekt zu fahren. Der Tempomat kann also dazu benutzt werden, durchgängig legale Geschwindigkeiten zu fahren, und ja: Ich schreibe das, weil es eben nicht überall so ist.

Der EQS hat serienmäßig Hinterachslenkung mit 4,5° Lenkwinkel. Optional gibt es 10°, und ich lege diese Option jedem Interessenten ans Herz, weil sie das Auto erstaunlich wendig macht. Kein anderes Auto dieser Länge rangiert platzsparender (10,9 m Wendekreis). Dazu kommt eine Rückfahrkamera, die ausklappt und daher während der Fahrt nicht verschmutzt und deren Blickfeld für die Nacht obendrein kräftig ausgeleuchtet wird (Infrarot?). Damit wird die 360°-Kamera uneingeschränkt winternachttauglich, und auch das schreibe ich, weil es leider alles andere als selbstverständlich ist.

Die Hinterachslenkung lenkt beim Abbiegen oder anderen engen Kurven gegen (das Auto wird wendiger), beim Spurwechsel in die gleiche Richtung wie vorne (das Auto wird stabiler). Sie sorgt zusammen mit der elektrischen Servolenkung somit insgesamt dafür, dass sich dieses Auto spielerisch, kinderleicht fährt, und wie bei der S-Klasse werden im EQS viele bis die meisten Besitzer selber fahren wollen.

Am Ende bleibt das Fazit des Sommers: Ja, die 385-Allrad-kW des EQS 580 sind irgendwie cool, aber wir sind ja keine 13-Jährigen mehr. Das funktional optimale Modell ist der EQS 450+, der mit Heckantrieb noch leiser ist, noch effizienter fährt, weniger Geld kostet und die Option bietet, statt Hyperscreen kaufen auf jeden Mitfahrersitz zwei iPad Pro zu legen. Man kann das natürlich auch komplett andersherum sehen: iPads hat jeder. Eine Riesenglasscheibe mit 385 kW und Allradantrieb nicht.

Mercedes hat die Kosten für die Überführung übernommen, der Autor jene für Fahrenergie.