iX 1/2018
S. 84
Report
Recht
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Distributed-Ledger-Technologie braucht Gesetzesänderungen

Blockweise

Die Nutzung der Blockchain-Technologie in Gesellschaft und Wirtschaft benötigt entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen. Dies fordert der jüngst gegründete „Blockchain Bundesverband“.

Digitalisierung lautet seit langer Zeit das Zauberwort für die großen Herausforderungen und Chancen in der Wirtschaft. Umso erstaunlicher ist es, dass nach einer bislang unveröffentlichten Umfrage von Bitkom Research im Auftrag von Tata Consultancy Services, über die die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, nur noch in ungefähr 42 Prozent aller Unternehmen die Geschäftsleitung Digitalisierungsprojekte initiiert, was im Jahresvergleich einen Rückgang um 9 Prozentpunkte bedeutet. Aus den IT-Abteilungen stammen danach mittlerweile 86 Prozent der Projektvorschläge. Fachleute mahnen, dass die Digitalisierung in Deutschland auch weiterhin zu wenig im Fokus der Geschäftsleitung steht.

Gemäß der gleichen Umfrage stehen insgesamt nur etwa 7 Prozent der befragten Führungskräfte der Blockchain-Technologie offen gegenüber. In diesem Umfeld hat sich Ende Juni 2017 in Berlin der „Blockchain Bundesverband e.V.“ gegründet. Er hat sich viel vorgenommen und will unter anderem die Politik für die Möglichkeiten der neuen Technologie sensibilisieren. Auf der Webseite heißt es: „Der Blockchain Bundesverband ist überzeugt, dass Blockchain und ähnliche, auf Kryptografie basierende dezentrale Technologien grundlegende infrastrukturelle Innovationen darstellen. Für die Bedeutung Deutschlands in einer digital vernetzten Welt ist diese Erkenntnis elementar. Das Potenzial der Blockchain-Technologie kann sich nur dann entfalten, wenn Bürger ebenso wie private und öffentliche Einrichtungen sich mit der Technologie vernetzen und die Technologie selbst von Recht und Gesellschaft anerkannt wird.“

Vor Kurzem hat der Verband sein erstes Positionspapier veröffentlicht (zu finden über ix.de/ix/1801084). Es dient der „Ausformulierung von Problemstellungen und politischen Handlungsempfehlungen, um Deutschland zu einem Global Player im weltweiten Blockchain-Ökosystem zu machen“. Das Papier formuliert eine Reihe von Forderungen und Anregungen, wie der Rechtsrahmen umzugestalten ist, um der Blockchain-Technologie im alltäglichen Einsatz zum Durchbruch zu verhelfen. Indirekt beschreibt es damit auch zahlreiche denkbare Anwendungsfelder von Blockchains.

Der nächste Schritt: Das dezentralisierte Netz

„Blockchains werden die treibende Kraft hinter dem nächsten Evolutionsschritt des Internets sein, dem sogenannten dezentralisierten Netz oder auch dem Internet der Verträge und Transaktionen. Blockchain-Technologie schafft es, durch spezielle, auf kryptografischen Einwegfunktionen basierende Protokolle Vertrauen zwischen sich unbekannten Teilnehmern herzustellen“, resümiert der Bundesverband in seinem Positionspapier.

Position bezieht er auf zahlreichen Gebieten mit juristischen Schnittstellen, etwa bei den Themen Unternehmensrecht, Bildung, Finanzaufsicht, Steuerfragen, digitalen Identitäten und Datenschutz, geistigem Eigentum und IT-Recht, Normung, Standardisierung und Zertifizierung bis hin zu ethischen Aspekten und Governance. Das Papier ist das zusammengefasste Ergebnis von Diskussionen in über 20 Arbeitsgruppen und richtet sich (auch) an die Koalitionsparteien der nächsten Bundesregierung.

Im Bereich des Unternehmensrechts beispielsweise sollen bestehende Unternehmensrechtsformen für vollständig dezentrale Organisationsformen geöffnet werden, so eine Forderung. Zudem sollen Geschäftsanteile als Tokens digitalisiert, herausgegeben und gehandelt werden können. Bei den Fragen der Finanzaufsicht geht es beispielsweise um die Schaffung digitaler Wertpapiere oder um Rahmenbedingungen für „dezentralisierte Tokenübertragungssysteme“. Schließlich sollen die Voraussetzungen für eine „Emission von Crypto-Euro“ durch ein Cash-on-Ledger-Verfahren erforscht werden. Wünschenswert ist zudem eine europaweite Harmonisierung der Rahmenbedingungen für technologiebasierte Finanzierungsmethoden sowie das Ausschöpfen vorhandener Spielräume, etwa bei Schwarmfinanzierungen. Der Verband bemängelt in diesem Zusammenhang auch, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, im Gegensatz zu beispielsweise deren Pendant in den USA über keine dezidierte Blockchain-Abteilung verfügt, was sich dringend ändern müsse.

Einen großen Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie sehen die Verbandsmitglieder bei der Energieversorgung. In Kooperation mit der Bundesnetzagentur sollen „Smart-Contract-basierte automatisierte Prozesse zur Belieferung der Kunden mit Strom“ die Tauglichkeit demonstrieren. Zudem sollen die Marktregeln für den Stromhandel von Kleinstmengen angepasst sowie die rechtlich-regulatorischen Anforderungen in diesem Bereich technologieneutral formuliert werden, damit Smart Contracting in einem klaren Rechtsrahmen eingesetzt werden kann.

Smarte Energieversorgung

Darüber hinaus fordert der Verband einen sicheren Rechtsrahmen für „industrielle Massentransaktionen“, etwa im Rahmen der viel diskutierten „Industrie 4.0“ und der Machine-to-Machine-Kommunikation. Aus Sicht des (deutschen) Vertragsrechts stellen sich hier grundlegende juristische Fragen, die bislang noch nicht einheitlich beantwortet wurden und intensiv diskutiert werden müssen. Letztlich geht es darum, dass einmal ausgeführte Smart Contracts technisch nicht „rückabgewickelt“ werden können.

Die Durchführung von Verträgen erfordert aber „Mechanismen wie Hemmbarkeit der Vertragsausführung, Abbruch der Vertragsausführung, definierte Reaktionszeiten, gegebenenfalls Anbindung von Haftungskapital an die Software oder Ähnliches“. Erst im zweiten Schritt kann man darüber nachdenken, wie Rechtsstreitigkeiten gerichtlich auszufechten sind. In diesem Bereich diskutiert der Fachausschuss Schlichtung der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik e. V. bereits, wie sich in Zukunft Schlichtungsverfahren über Smart-Contract-Sachverhalte auf Blockchain-Basis abwickeln lassen.

Fragen ergeben sich auch beim Steuerrecht. Um der teils bestehenden Rechtsunsicherheit entgegenzutreten, fordert der Bundesverband „Leitlinien zur umsatzsteuer- und ertragssteuerrechtlichen Beurteilung von Transaktionen, die mittels digitaler Währung erfolgen“. Beim Mining von Bitcoin & Co. soll es sich um die „Herstellung sonstiger Wirtschaftsgüter“ handeln, was entsprechend bilanziell und steuerlich berücksichtigt werden soll.

Sag mir, wer du bist

Zur rechtlichen Anerkennung von Transaktionen sind Fragen im Bereich „Digitale Identitäten“ zu klären. Hierzu zählt die Anerkennung digitaler Signaturen auf Blockchain-Basis oder die Forderung nach einem Pilotprojekt „Bundes-ID-Chain“ zur staatlichen Autorisierung Blockchain-basierter Identitäten.

Beim Einsatz von Blockchains kann es zur Verarbeitung personenbezogener Daten kommen, was in den Geltungsbereich des Datenschutzrechts fällt. „Damit die Blockchain-Technologie ihr Potenzial ausschöpfen kann, muss der scheinbare Widerspruch zwischen Transparenz und Privatsphäre gelöst werden“, schreibt der Blockchain Bundesverband. Aus Sicht von Datenschützern ist dies starker Tobak, da es sich doch um eine sehr pauschale Aussage handelt. Hier wird es zu Diskussionen kommen, denn die Forderung lautet, dass einerseits bestimmte starke kryptografische Verfahren als sichere Verschlüsselung auch aus Sicht des Datenschutzrechts anerkannt werden sollen. Andererseits soll die Datenschutz-Grundverordnung im Sinne eines „relativen Personenbezugs“ Blockchain-freundlich ausgelegt werden. Was bedeutet das?

Dreh- und Angelpunkt der Anwendbarkeit des Datenschutzrechtes ist die Frage, wann ein Datum Personenbezug hat. Wenn bestimmte Verschlüsselungsverfahren als solche anerkannt würden, die aus einem personenbezogenen ein nicht personenbezogenes Datum machen, also es anonymisieren, wäre das Datenschutzrecht nicht anwendbar. Insoweit soll es im Sinne des Grundsatzes „Privacy by Design“ genügen, wenn Nutzer ihre Daten entsprechend „stark verschlüsseln“, bevor diese in Blockchains verarbeitet werden. Sie sollen hierüber umfassend aufgeklärt und zum Einsatz der Technologien ermuntert werden. Spannend bleibt, ob es überhaupt noch Verschlüsselungsverfahren geben kann, die einen Rückschluss auf die personenbezogenen Daten zuverlässig ausschließen. Theoretisch kann jede Verschlüsselung geknackt und der Personenbezug eines Datums dann wiederhergestellt werden.

Das vom BlockchainHub und dem Bundesverband Blockchain erstellte deutsche Blockchain-Ökosystem zeigt Unternehmen und Institutionen, die ausschließlich mit der Blockchain- oder anderen Web3-Anwendungen befasst sind.

Das Positionspapier beleuchtet ein weiteres Spannungsfeld. Dabei geht es um die Verantwortlichkeit der Beteiligten am „Blockchain-Ökosystem“ (siehe Abbildung) aus Sicht des Datenschutzrechtes. Blockchains funktionieren nach einem dezentralen System einer Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten. Letztlich kommt jeder Node mit den in einer Blockchain gespeicherten Daten in Berührung und verarbeitet sie. Sind diese rechtlich aber als personenbezogene Daten zu qualifizieren, weil sie beispielsweise nur pseudonymisiert – also mit mehr oder weniger Aufwand zurückführbar auf den Betroffenen – und nicht vollständig anonymisiert sind, greifen die Vorgaben des Datenschutzrechts.

Blockchain und Auftragsdatenverarbeitung

Wenn mehrere Personen oder Stellen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zusammenarbeiten, fordert das Datenschutzrecht auch nach Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018 eine Vereinbarung zur Auftragsdatenverarbeitung. Bei einer Vielzahl von Nodes und dergleichen in einem dezentralen Blockchain-System wäre diese Vorgabe aber schwerlich umzusetzen, heißt es im Positionspapier. Dies gilt insbesondere für Rückgabe- und Löschungspflichten, denn sie würden einen systemwidrigen Eingriff in die Blockchain erfordern und diese entsprechend verändern (müssen). Ob es sich bei Nodes und dergleichen um „Verantwortliche“ im Sinne des Datenschutzrechts handelt und bei ihnen ein klassisches Auftragsverhältnis vorliegt, ist eine offene Frage. Für eine Klarstellung wären die Beteiligten an Blockchain-Verfahren sicher dankbar.

Im Abschnitt „Geistiges Eigentum und IT-Recht“ zeichnet das Positionspapier eine Vision der großen Chancen, die Blockchains im Bereich der nachvollziehbaren Lizenzierung beispielsweise urheberrechtlich geschützter Werke bieten können. Die Empfehlung lautet: „Einführung eines Blockchain-gestützten Registers für immaterialgüterrechtliche Befugnisse“, um Lizenzketten vom Urheber bis hin zum Nutzer entsprechend geschützter Werke belastbar nachvollziehen zu können. Auch für die seit Jahren heiß diskutierte Übertragung von Nutzungsrechten unter dem Stichwort „Gebrauchtsoftware“ sind Anwendungsszenarien vorstellbar.

Für den Bereich „IT-Recht“ fordert der Bundesverband, die Rolle von Blockchains zum Beispiel bei Vertrauensdiensten und der elektronischen Identifizierung nach der eIDAS-Verordnung zu diskutieren und im Sinne einer technologiefreundlichen Auslegung zu beantworten. Die eIDAS-Verordnung regelt die EU-weiten Standards für die gegenseitige Anerkennung solcher Vertrauensdienste, die einen einheitlichen Rechtsrahmen für (auch gerichtlich) anerkannte elektronische Kommunikation etwa im E-Commerce schaffen. Dazu soll eine Art „Vertrauenssiegel“ durch staatliche Behörden für Blockchain-Protokolle beitragen.

Das Positionspapier nennt zahlreiche weitere Diskussionsansätze, Empfehlungen und Herausforderungen. Der Abschnitt „Ethische Gesichtspunkte und Governance“ beschreibt beispielsweise, dass eine Blockchain durch ihre dezentrale Struktur und den daraus folgenden Verzicht auf eine dritte Instanz zwischen zwei Vertragsparteien etwa „den Missbrauch durch eine einzelne Instanz ausschließt“. Klare Forderungen erheben die Verfasser des Papiers im Abschnitt „Normung, Standardisierung und Zertifizierung“. Dort heißt es unter anderem: „Deutschland muss sich im internationalen Normungs- und Standardisierungsumfeld zum Thema Blockchain als eine der führenden Nationen positionieren.“ Schlussendlich werden Pilotprojekte gefordert, beispielsweise die Blockchain-unterstützte Zusammenführung fragmentierter Registersysteme, etwa im Bereich der Ausländerpolitik, namentlich der Erfassung und Registrierung nach Europa beziehungsweise Deutschland geflüchteter Menschen.

Fazit

Aus juristischer Sicht stellt sich beim Einsatz der Blockchain-Technologie ein klassisches Henne-Ei-Dilemma. Sollen sich zuerst entsprechende Geschäftsmodelle entwickeln, für die dann gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden? Oder muss zunächst der Gesetzgeber handeln, um ein Blockchain-freundliches Umfeld zu schaffen? Aus Sicht des neugegründeten Blockchain Bundesverbandes gilt Letzteres, auch wenn klar ist, dass der technologische Fortschritt stets eine Überprüfung bestehender gesetzlicher Vorgaben und Überlegungen zur Schaffung neuer erfordert.

Im Vorwort seines ersten Positionspapiers fordert der Verband: „Der Staat hat […] die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für innovative Gesellschafts- und Geschäftsmodelle, die auf Blockchain-Technologie gründen, zu schaffen.“ Denn „Deutschland hat die Web-2.0-Revolution verpasst, dementsprechend kommen die Global Player nicht aus Deutschland. Durch die Blockchain-Revolution bietet sich nun die Möglichkeit einer zweiten Chance“.

Das Blockchain-Verfahren ermöglicht grundsätzlich Transaktionen, ohne dass dafür Mittelsmänner oder zentrale Register erforderlich wären. Am Beispiel der Immobilientransaktionen bedeutete dies in letzter Konsequenz die Abschaffung von Notaren und Grundbüchern, da alle Aktionen revisionssicher in einer Blockchain gespeichert wären. In gleicher Weise ist vorstellbar, dass Wirtschaftssysteme zukünftig ohne zentrale Handelsregister auskommen. Und so weiter und so weiter.

Der Blockchain Bundesverband hat sich zu einem günstigen Zeitpunkt gegründet, rechtzeitig vor den Verhandlungen über die Inhalte und die Arbeit der nächsten Bundesregierung. Mit seinem Positionspapier liegt eine starke Anregung für eine kritische Diskussion und erforderlichenfalls Blockchain-freundliche Anpassung der Gesetze vor. Der Rundumschlag über viele Rechtsgebiete zeigt, welches Anwendungspotenzial in der Blockchain-Technologie liegt und welch eine Vielzahl juristischer Einzelfragen diskutiert werden muss.

Der Verband nennt das Positionspapier nicht zu Unrecht „Blockchain – Chancen und Herausforderungen einer neuen digitalen Infrastruktur für Deutschland“ und sieht in der Blockchain-Technologie eine „industriepolitische Chance“, die genutzt werden muss, damit Deutschland hier nicht wieder den internationalen Anschluss verpasst. Juristen, Datenschützern, IT-Fachleuten et cetera stehen spannende Diskussionen ins Haus. Ein wesentlicher Beitrag dazu ist bereits geleistet. (ur)