Schule digital: Wie ein Lock-In an Schulen der Gesellschaft schadet

Seite 3: Wie kam es zum Status Quo?

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Wenn viele Argumente also gegen die derzeit in Schulen verwendeten technischen Angeboten sprechen, stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu deren Einsatz kam. Die Gründe für die Einführung bestimmter Technologien sind zumeist anhand der Bildungslandschaft und seiner dort vorhandenen wie auch fehlenden Kompetenzen nachvollziehbar.

Oft treffen die Schulträger die Technologieentscheidungen, dabei sind sie meistens weder praktizierende Lehrer:innen noch Informatiker:innen. Auch sind sie nicht die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle. Folglich stellen sie ihre Bedürfnisse nach Planbarkeit, rascher Funktionalität und Finanzierbarkeit über den Schutz der Privatsphäre der Betroffenen, also der Lehrenden und Lernenden. Sie sehen in der aktuellen Situation zuerst die vom Bund einmalig bereitgestellten Gelder eines Digitalpakts, der keine Aussagen trifft, wie zeitgemäße Schulen aussehen müssen. Die Länder wiederum bieten bei den zu treffenden Entscheidungen wenig Unterstützung, wenn sie einfach nur die Geldtöpfe aufstocken (zum Beispiel in Baden-Württemberg). Parallel machen die Länder während der Corona-Pandemie ständig neue Vorgaben in Bezug auf die Öffnung beziehungsweise Schließung von Schulen, was die Schulträger unter Handlungsdruck setzt.

Um das Distanzlernen zu garantieren, werden Schulen oft Lösungen aufgezwungen, die gegebenenfalls gar nicht zu ihren Bedürfnissen passen oder die, wie in Hessen festgestellt, schlicht rechtswidrig sind. Stattdessen braucht es eine nachhaltige Entwicklung jeder einzelnen Schule in Abstimmung mit der dortigen Schulgemeinschaft. Eine Grundschule wird mit einer großen Lernplattform überfordert sein oder diese gar nicht richtig nutzen, während sie für ein Gymnasium angemessen ist.

Manche Schulen gerieten unverschuldet in einen softwareseitigen Lock-In, weil ihre Stadtverwaltungen schon lange auf Microsoft und dessen Sharepoint setzten. Da die Städte oft Schulträger sind und daher für die Ausstattung ihrer Schulen verantwortlich sind, wird passend dazu die Lernplattform Teams ausgewählt. Das macht aus städtischer Sicht Sinn, da entsprechende Verträge nur noch zu erweitern sind, Kosten kalkulierbar scheinen und ihre zu kleinen IT-Abteilungen es leichter haben, wenn alle mit dem gleichen System arbeiten.

Hier zeigen sich die Folgen eines seit vielen Jahren bestehenden Lock-In-Effekts in den kommunalen Verwaltungen. Kaum einer mag bei den damaligen Entscheidungen vorhergesehen haben, dass sie nachhaltige Auswirkungen auf unser Bildungssystem haben werden, weil sich der Lock-In hier fortsetzt. Schulen müssen nun einmal mehr die Versäumnisse der Politik ausgleichen.

Firmen wie Google, Microsoft oder Apple sind internationale Aktiengesellschaften und folgen den ökonomischen Interessen ihrer Aktionär:innen. Dafür werden unter anderem Datensammlungen der Nutzer:innen aufgebaut, weswegen es sich für sie lohnt, bereits an junge Menschen heranzutreten und sie von klein auf an ihre Produkte und ihre Art der Datennutzung zu gewöhnen. Google spielt im deutschen Bildungsmarkt zwar bisher keine große Rolle. Da sie aber in den USA ein wichtiger Player im Bildungsbereich sind, kann sich das in Deutschland auch langfristig ändern.

Shoshana Zuboff, Professorin für Wirtschaftswissenschaften, kritisierte das auf Datensammlungen basierende Geschäftsmodell einst treffend als "Tyrannei des Überwachungskapitalismus". Vor diesem Hintergrund ist schwer nachvollziehbar, dass Politiker:innen es zulassen, dass Lehrkräfte und Schüler:innen für diese Geschäftsinteressen dressiert werden. Zumal zusätzlich Lizenzgebühren erhoben werden und es wegen oben beschriebener Geschäftsmodelle auch formaljuristisch zu Datenschutzverletzungen kommt.

Natürlich gehören Geschäftsbeziehungen zwischen Firmen und Schulen zum Alltag, woher sonst sollten beispielsweise die technische Ausstattung oder Möbel stammen. Dabei sollten Schulen jedoch werbefreie Räume bleiben, in denen die besten Lösungen anhand klarer Kriterien eingekauft werden und nicht weil ein Anbieter das beste Marketing besitzt oder eine Komplettlösung bereits in der öffentlichen Verwaltung etabliert wurde. Es sollte beim Ausschreiben öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden, dass momentan Firmen, deren Geschäftsmodelle auf dem Sammeln von Nutzer:innendaten basieren, auch noch in unsere Schulen einziehen. So wird ihre Marktmacht auf Kosten von Schüler:innen noch weiter verfestigt.

Viele der durch Schulträger und Bildungspolitik ausgelösten Fehlentwicklungen und Irrfahrten, bei denen Software erst eingesetzt werden muss und dann wieder verboten wird, werden auf den Schultern der ohnehin überlasteten Lehrkräfte ausgetragen. Die oft von Lehrkräften oder Dritten geäußerte Folgerung, dass der Datenschutz daran schuld sei, ist jedoch falsch. Der Datenschutz ist ein essenzielles Grundrecht. Wenn dieses mit Einführung von bestimmten Technologien mit Füßen getreten wird, sollte die Kritik korrekterweise an Schulträger und Bildungspolitik adressiert werden.

Zudem wird behauptet, dass die Auswahl der Software und Hardware alternativlos sei und dass Datenschutzverstöße von Firmen wie Microsoft geduldet werden müssten, damit der Unterricht auf Distanz weitergehen kann. Zahlreiche funktionierende Gegenbeispiele beweisen, dass dem nicht so ist. Dabei wird gerne verschwiegen, dass die Entscheider:innen diese scheinbare Vormachtstellung selbst provoziert haben. Denn anstelle immer weiter Lizenzgebühren zu bezahlen, könnte man dieses Geld in Weiterentwicklung und Schulung von freier Software investieren.

Besonders überrascht die Entwicklung der Lernstatt Paderborn. Die bereits 2001 gestartete und ständig weiterentwickelte Lerninfrastruktur für insgesamt 37 Schulen wird von einem breiten Zusammenschluss von Firmen, der Universität Paderborn und der Stadt getragen. Pädagogische und technische Fragen werden durch zusätzliche Arbeitsgruppen begleitet. Die hierfür in den Schulen installierten Server werden von einem lokalen Rechenzentrum administriert, um den Lehrkräften den Rücken freizuhalten. Als es zum Distanzlernen kam, stellte sich heraus, dass die Plattform dafür nicht konzipiert war und es kam zu Ausfällen und Cyber-Angriffen. Anstelle mit dem offensichtlich vorhandenen Know-how eigene Lösungen zu entwickeln und das System entsprechend anzupassen, entschied sich die Lernstatt Paderborn Ende 2020 dazu, Microsoft Teams einzukaufen.

Ähnliche Problematiken wie in der Bildung bestehen auch an anderen öffentlichen Stellen. Politiker:innen beklagen sich regelmäßig über die Abhängigkeit in der Verwaltung von Microsoft, ohne etwas daran zu ändern. Man begibt sich sogar noch tiefer in den Lock-In: Das einstige Vorzeigeprojekt in München unter Verwendung von Linux (LiMux) wurde nach wenigen Jahren eingestellt. Einer der Gründe war, dass nicht alle von der Verwaltung benötigten Anwendungen für Linux verfügbar waren und zu wenig investiert wurde, um diese auf Linux zu portieren oder neuzuentwickeln.