iX 3/2017
S. 86
Report
Recht
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Elektronische Vergabeverfahren werden Pflicht

Alles vergeben

Das EU-Vergaberecht verlangt künftig die Nutzung elektronischer Vergabeverfahren. Im April 2017 zündet hierfür die zweite Stufe, bevor ab Oktober 2018 nur noch elektronisch ausgeschrieben werden darf.

Etwa 12,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts machen Vergaben durch die öffentliche Hand aus. Pro Jahr sind dies Aufträge im Wert von etwa 350 Milliarden Euro. Zweifelsfrei ist die öffentliche Hand damit der größte und marktmächtigste Auftraggeber. Auf EU-Ebene und in anderen Mitgliedsstaaten ist das ähnlich. Damit in diesen Bereichen eine einheitliche und transparente Auftragsvergabe erfolgt und es dabei nicht zu Entscheidungen aus sachfremden Erwägungen kommt, gibt es das Vergaberecht und entsprechende gerichtliche Überprüfungsmöglichkeiten für Bieter, die sich in ihren Rechten verletzt sehen.

Tabelle
Tabelle: Vergaberechtliche Schwellenwerte für öffentliche Auftraggeber

Auf EU-Ebene beschreiben mehrere Richtlinien die vergaberechtlichen Rahmenbedingungen, die in die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedsstaaten aufgenommen sind. Sie werden durch einige wegweisende Urteile des Europäischen Gerichtshofs ergänzt. Alles zusammen soll einen freien und gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Aufträgen für alle europäischen Unternehmen schaffen und ein hohes Maß an Transparenz sicherstellen. Letztlich soll auch das Vergaberecht das Funktionieren des EU-Binnenmarktes gewährleisten. Aufträge der öffentlichen Hand müssen ab einem bestimmten Schwellenwert EU-weit ausgeschrieben werden. Die in der Tabelle genannten Schwellenwerte gelten für die Jahre 2016 und 2017.

Am 18. April 2017 tritt die nächste Stufe der jüngsten Reform des Vergaberechts in der Europäischen Union in Kraft. Dann soll es zur vollständigen elektronischen Vergabe für zentrale Beschaffungsstellen kommen. Das bedeutet, dass Angebotsabgabe sowie Zusage- und Absagemitteilungen nur noch auf elektronischem Weg erfolgen dürfen. Ab Oktober 2018 ist das für alle Vergabestellen verbindlich. Weitere Maßnahmen runden diese Reform ab.

Zentrale Beschaffungsstellen können alle Vergabestellen des Bundes, der Länder oder der Kommunen sein, die „auf Dauer“ Lieferungen oder Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber erwerben oder öffentliche Aufträge sowie Rahmenverträge über Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen vergeben. Auf Bundesebene gibt es derzeit vier solche Stellen, darunter das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums sowie dessen Pendant bei der Bundeswehr. Auf Länderebene gibt es ebenfalls zentrale Beschaffungsstellen, etwa das Logistikzentrum Baden-Württemberg. In anderen EU-Staaten ist dies ähnlich, aber davon abhängig, wie die Beschaffung dort geregelt ist. In Österreich beispielsweise gibt es mit der Bundesbeschaffung GmbH eine zentrale Beschaffungsstelle.

Ende der Freiwilligkeit

Die neuen EU-Vergaberichtlinien gehen auf eine EU-Richtlinie zurück, die bereits am 17. April 2014 formal in Kraft getreten ist. Sie sieht einige Übergangsvorschriften vor, deren Ende nun näher rückt. Die Gesetzesänderungen greifen damit in zwei Schritten ab spätestens Oktober 2018. Wesentlicher Regelungspunkt ist, dass Vergabeverfahren künftig elektronisch durchgeführt werden müssen. Bislang war dies nur optional der Fall, sprich die Vergabestelle konnte sich zwischen einem elektronischen und einem herkömmlichen Vergabeverfahren entscheiden.

Die Kommunikation zwischen den Beteiligten, also der Vergabestelle und den Bietern, soll künftig über eine „Vergabeplattform“ erfolgen. Am Beginn eines Vergabeverfahrens steht die elektronische Übermittlung der Bekanntmachung einer Ausschreibung. Dafür ist eine besondere Schnittstelle erforderlich. Die Bieter können über die Plattform die Auftragsunterlagen abrufen sowie ihre Angebote elektronisch einreichen. Dort erhalten sie nach Abschluss des Verfahrens dann auch die Zu- oder Absage für das eingereichte Gebot. Auch „Nachforderungen oder Aufklärungen“ während des laufenden Verfahrens sind über die Plattform abzuwickeln. Lediglich in der Art und Weise der Prüfung und Bewertung von Angeboten ist die Vergabestelle frei und kann dies „nicht-elektronisch“ abwickeln.

Auf EU-Ebene ist das „Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union“ für die Veröffentlichung von Vergabeverfahren zuständig. Sie werden im sogenannten Supplement zum Amtsblatt der EU bekanntgegeben, das mittlerweile nur noch elektronisch verfügbar ist. Ein Abruf kann über die Onlinedatenbank „Tenders Electronic Daily“, kurz TED, erfolgen, die auch auf DVD erhältlich ist. Über TED werden circa 460 000 Ausschreibungen pro Jahr mit einem Gesamtvolumen von etwa 420 Milliarden Euro veröffentlicht. Die zentrale Plattform für das öffentliche Auftragswesen heißt SIMAP.

Für die elektronische Übermittlung von Ausschreibungen durch die Vergabestellen gibt es derzeit zwei Möglichkeiten. Zum einen kann sie als sogenannter OJS eSender erfolgen. Hierbei handelt es sich um Vergabeplattformen oder -software, die in einem besonderen Verfahren durch die EU zertifiziert wurden. Sie müssen in der Lage sein, die Vergabebekanntmachungen strukturiert zu erfassen und als XML-Daten auszugeben sowie an die EU-Stellen zu übermitteln. Die Vergabestellen erhalten eine OJS-eSender-Nummer als Kennung. Eine Liste der zertifizierten eSender ist online verfügbar (https://simap.ted.europa.eu/list-of-ted-esenders).

Ohne großen Aufwand

Zum anderen kann man die Daten mit der eNotice-Anwendung über elektronische Formulare verschicken, was die EU Stellen mit geringem Vergabeaufkommen empfiehlt. Nach Registrierung der Vergabestelle kann diese ihre Unterlagen über Webformulare erfassen und sie anschließend zur Veröffentlichung über TED und SIMAP freigeben.

Im Zuge der flächendeckenden Einführung elektronischer Vergabeverfahren wurde festgelegt, dass die zu verwendenden Instrumente und Vorrichtungen sowie ihre technischen Merkmale nichtdiskriminierend und allgemein verfügbar sein müssen. So darf eine Vergabestelle beispielsweise für das Bearbeiten einer Ausschreibung kein bestimmtes, nicht allgemein verfügbares Computerprogramm voraussetzen.

Noch nicht abschließend geklärt ist der Umgang mit elektronischen Signaturen im rein elektronischen Vergabeverfahren. Deren Nutzung stellt die Richtlinie in das Ermessen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten. Da die Vergabe elektronischer Zertifikate bislang noch weitgehend Sache der Mitgliedsstaaten ist, sieht das EU-Recht vor, dass diese gegenseitig anerkannt werden müssen. Die Vergabestellen sollen so in die Lage versetzt werden, elektronische Signaturen kostenlos und online validieren zu können.

Auf der zentralen Plattform SIMAP finden sich Informationen, Formulare und Hilfestellungen für die öffentliche Vergabe in der EU.

Das EU-Vergaberecht hat sogenannte „elektronische Beschaffungssysteme“ initiiert, für die die Mitgliedsstaaten nun die rechtlichen Regeln umsetzen müssen. Genannt wird zunächst das „dynamische Beschaffungssystem“. Dabei handelt es sich um ein vollelektronisches Verfahren für die Beschaffung „marktüblicher Lieferungen und Leistungen“. Daneben gibt es „elektronische Auktionen“ zum Ermitteln des wirtschaftlichsten Angebots. Und schließlich sollen Beschaffungsstellen vorgeben können, dass Bieter ihre Angebote als sogenannte „elektronische Kataloge“ abgeben müssen.

Zwei weitere Aspekte sind für Vergabestellen und Bieter von zentraler Bedeutung: Zum einen gibt es die „Einheitliche Europäische Eigenerklärung“ (EEE) der Bieter. Sie liefert einen „vorläufigen Nachweis“, dass Bieter für Vergaben gemäß den jeweils konkreten Vorgaben geeignet sind und keine Ausschlussgründe für ihre Gebote vorliegen.

Zum anderen gibt es mit „E-Certis“ eine elektronische Datenbank mit einer Übersicht über die zahlreichen Dokumente und Bescheinigungen, die ein Bieter möglicherweise im Rahmen einer Vergabeentscheidung vorlegen muss. Diese Datenbank soll es insbesondere ausländischen Bietern ermöglichen, sich über die relevanten Vorgaben der Vergabestellen in anderen EU-Staaten vorab zu informieren. Für die Vergabestellen selbst ermöglicht die Datenbank einen Abgleich, ob ausländische Zertifikate und Nachweise den jeweiligen Vorgaben genügen.

Fazit

Das EU-weit vereinheitlichte Vergaberecht schreibt nach dem Willen der EU zukünftig eine rein elektronische Abwicklung vor. Im April 2017 zündet hierfür die nächste Stufe. Sie verlangt, dass zunächst die zentralen Beschaffungsstellen in den einzelnen EU-Staaten ihre Vergaben nur noch elektronisch durchführen. Ab Oktober 2018 gilt dies dann für alle Beschaffungsstellen, die nach EU-Recht öffentliche Aufträge für Lieferungen und Leistungen ausschreiben müssen.

Zur Erreichung ihres Ziels hat die EU einige Voraussetzungen geschaffen, die den Vergabeprozess unterstützen und begleiten sollen. Zunächst werden sämtliche Ausschreibungen in der Onlinedatenbank TED veröffentlicht. Für das Abgeben von Geboten gibt es zertifizierte Software und Lösungen, damit Bieter hier den Vorgaben genügen können. Verschiedene elektronische Beschaffungssysteme stellen der öffentlichen Hand Verfahren für bestimmte Beschaffungsformen zur Verfügung. Unterstützungstools wie die „Einheitliche Europäische Eigenerklärung“ und die Onlinedatenbank „E-Certis“ helfen Bietern beim Nachweis ihrer Eignung.

Da die Vergaben der öffentlichen Hand in Europa ein signifikantes Volumen aller Aufträge für Lieferungen und Leistungen umfassen, sollten sich alle interessierten Anbieter mit den Regularien für die zukünftig rein elektronische Vergabe vertraut machen. Nur so können sie an den ab Herbst 2018 ausschließlich elektronisch durchgeführten Verfahren teilnehmen. (ur)