iX 5/2017
S. 98
Report
Digitalisierung
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Wie IoT und Big Data die Logistikbranche verändern

Gut geführt

Damit Schienenverkehr als reale Alternative zur Flexibilität der Straße wahr- und angenommen wird, muss er effizienter, zuverlässiger und flexibler werden. Dabei helfen sollen das Internet of Things und Big Data.

Der deutsche Logistikmarkt, verstanden als Transport von Gütern, Dienstleistungen und Personen samt der Steuerung der damit zusammenhängenden Informationsflüsse, erwirtschaftete 2016 ein Umsatzvolumen von 258 Milliarden Euro. In Europa betrug das Marktvolumen knapp eine Billion Euro. Die Branche beschäftigt hierzulande rund drei Millionen Menschen, dreimal so viel wie der Maschinenbau. Im Jahr 2015 hatte der schienengebundene Verkehr einen Anteil von 8 Prozent am Personen- und von 17,5 Prozent am Güterverkehr.

Derzeit verändert sich die Logistikwelt radikal. Transporte nehmen zu und erstrecken sich über immer weitere Distanzen. Insgesamt steigt das Verkehrsvolumen. Auch die digitale Transformation ist im Transportsektor angekommen – Projekte wie der Hamburger Hafen, dessen Logistik durch Informationstechnik optimiert werden soll, sind nur die Vorboten einer flächendeckenden Veränderung.

Rangierloks der HHLA-Tochter Metrans auf dem Bahnhof des HHLA-Container-Terminals Altenwerder (CTA) (Abb. 1) Foto: A. Rüdiger

Viel Energie fließt derzeit ins heiß diskutierte autonome Fahren auf der Straße. Allerdings soll eigentlich aus Umweltgründen der Anteil der Bahn am gesamten Verkehrsvolumen steigen, und gerade für Einrichtungen wie den Containerhafen in Hamburg spielt er ohnehin eine wichtige Rolle. Doch damit mehr Zugverkehr möglich ist, muss er insgesamt besser organisiert, effizienter, schneller und flexibler werden. Dabei sollen Sensoren, Big-Data-Analysen und mobile Techniken helfen.

Lokomotiven mit Sensoren gespickt

Wenn Loks wie diese das Allacher Siemens-Werk verlassen, sind sie mit 200 bis 250 Sensoren gespickt (Abb. 2). Foto: A. Rüdiger

Solche Technologien entwickelt zum Beispiel Siemens Mobility Services in München. Das Werk Allach baut als einer der wenigen Stahlbaubetriebe im Land immer noch rund 120 Loks jährlich. Doch anders als früher sind die modernen Kraftmaschinen mit Sensoren gespickt – 200 bis 250 davon stecken in besonders sensiblen Bereichen der Loks, beispielsweise im Antriebsstrang. Zusätzlich zu den Lokomotiven, die an Kunden auf der ganzen Welt verkauft oder inzwischen auch verleast werden, bietet Siemens Mobility heute umfangreiche Services an. Dafür spielen die von den Sensoren erzeugten Daten eine wichtige Rolle.

Angereichert beispielsweise um Konstruktions-, Wartungs- oder Wetterdaten, versetzen diese Informationen aus den Sensoren Siemens Mobility Services in die Lage zu ergründen, was sich im Inneren der Maschinen tut: Ob ein Teil im Begriff steht, kaputtzugehen, ob Türen oder Weichen klemmen. Das ermöglicht dann vorbeugende Wartungseingriffe, bevor Ausfälle oder Unfälle den Schienenverkehr stören. Die dazu benötigten Algorithmen entstehen im Data Lab des Bereiches.

Die Idee, Daten und Algorithmen einzusetzen, um die Wartung der Züge zu verbessern, hat sich längst bewährt. So kommt von 2300 täglichen Zugverbindungen des spanischen Bahnbetreibers RNFE, der Siemens-Material und Siemens-Services verwendet, gerade einmal ein Zug mehr als fünf Minuten zu spät. In Bangkok, wo Siemens Nahverkehrszüge betreibt, kam es innerhalb von acht Jahren noch nicht zu einem Ausfall. Die Jahrespünktlichkeitsrate der Deutschen Bahn im Fernverkehr liegt dagegen um 80 Prozent, bezogen auf 5 Minuten Verspätung.

Millionen vom Bund

Einen Mehrwert könnten mit derartigen Analytics-Diensten auch die Anbieter von Leihlokomotiven erwirtschaften. Den Grund nennt Rainer Beller, Geschäftsführer und CTO bei Mitsui Rail Capital Europe: „Unsere Kunden profitieren davon, dass Stillstandszeiten so vorhersagbar wie möglich und vor allem ungeplante Ausfallzeiten so wenig wie möglich auftreten.“

In Deutschland hat Bahn-Chef Grube Mitte 2016 ein Programm „Zukunft Bahn“ mit Laufzeit bis 2030 aufgelegt, in dessen Rahmen mehr digitale Technologien in den Bahnbetrieb integriert werden sollen. Der Bund investiert 75 Millionen Euro in die Entwicklung digitaler Anwendungen zur Kapazitätssteigerung, und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat mit der mCloud ein offenes Datenportal gestartet, wo Entwicklern und Start-ups Mobilitäts-, Geo- und Wetterdaten zur Verfügung gestellt werden. Über den mFund fließen 100 Millionen Euro in frühe Entwicklungsphasen digitaler Innovationen.

Arbeiten à la Start-up

Doch zurück zum Siemens Mobility Data Lab. Die Einrichtung wurde von Gerhard Kress, der sie bis heute leitet, hochgezogen. „Wir arbeiten hier mehr wie ein Start-up“, sagt der Manager. Die inzwischen rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind allesamt zwischen 25 und 32 Jahre alt. Dazu Kress: „Erfahrene Datenanalysten findet man kaum, entsprechende Studiengänge werden ja erst seit wenigen Jahren angeboten.“

Auch die in Allach vorhandene Nähe zu Engineering und Fertigung hilft. Wenn das Team von Kress bei der Dateninterpretation nicht mehr weiterweiß, ist der nächste Ingenieur oder Fertigungsmitarbeiter, der Tiefenwissen über den gerade benötigten Aspekt der Lokomotiv- oder Schienentechnik mitbringt, meist nicht weit. Diese Kombination aus Daten- und Praxiswissen sei es, so Kress, die Siemens vor vielen anderen, die Ähnliches versuchten, auszeichne.

Die IT-Infrastruktur des Data Lab besteht aus AWS-IoT-Services und -Analysetools sowie einer Teradata-Datenbank, in der strukturierte Daten in Tabellen gespeichert werden. Die können schon einmal mehr als 900 Milliarden Einträge haben. Für Daten und Analysen, die nicht zur konventionellen Datenbankarchitektur passen, also No-SQL-Jobs, gibt es einen Hadoop-Cluster.

Die Algorithmen, die Siemens im Mobility Data Lab entwickelt, haben unmittelbare Praxisrelevanz. „Wir versuchen, den Flexibilitäts- und Kostennachteil der Schiene sowie die Subventionsabhängigkeit vieler Betreiber, die nicht viel Geld ausgeben können, durch unsere Arbeit auszugleichen. Denn die Bahn ist zumindest aus der Umweltperspektive einfach das bessere Verkehrsmittel“, sagt Kress.