Hintergrund: Der Ärger mit den Domain-Namen

Mit dem Beschluss über die Einführung neuer Top Level Domains handelt sich die ICANN möglicherweise eher Ärger ein, als dass er zur Behebung von Schwierigkeiten mit den Internet-Namen beiträgt.

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Von
  • Jürgen Kuri

Ende der Woche verabschiedete die Internet-Verwaltung ICANN endlich die lange erwarteten und ewig diskutierten neuen Top Level Domains (TLDs) – und handelt sich damit schon wenige Stunden nach dem Beschluss Ärger ein. Zoff bekommt die ICANN wohl nicht nur mit einzelnen Firmen, deren Vorschläge für neue TLDs abgelehnt oder auf der entscheidenden Direktoriums-Sitzung gar nicht weiter beachtet wurden, sondern auch etwa mit der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Der Antrag der UN-Unterorganisation, eine Domain .health für Webseiten von Gesundheitsorganisationen und Informationen zur Gesundheit zu erhalten, wurde von der ICANN ignoriert. In der Diskussion des ICANN-Direktoriums wurde der Antrag der WHO kurz und bündig abgebügelt: Die Registry-Politik sei unklar. Und Vint Cerf, der neue Chef der ICANN, meinte, er respektiere zwar die WHO, aber er verstehe nicht, wie sie ihr Ziel erreichen wolle, hochwertige Informationen zur Gesundheit unter dieser Domain bereitzustellen. Die WHO hatte vorgeschlagen, dass sie selbst in Zusammenarbeit mit Verbrauchergruppen und akademischen Institutionen die Registrierungen in dieser Domain kontrollieren und beaufsichtigen wolle.

In einem Statement der WHO, das nach den ersten Berichten über die ICANN-Entscheidung veröffentlicht wurde, meinte die Organisation leicht pikiert, man habe erst durch Nachrichtenagenturen von der Ablehnung der .health-Domain erfahren und versuche nun, eine Bestätigung dafür von der ICANN zu bekommen: "Wir sind sehr enttäuscht über diese Entscheidung." Man erwarte nun gespannt die Begründung für die Ablehnung von .health, besonders "im Licht der Beschlüsse, andere TLDs zu genehmigen". Die WHO drohte, leicht diplomatisch verklausuliert, mit rechtlichen Schritten: "Wir werden sofort nach Möglichkeiten suchen, Beschwerde dagegen einzulegen."

Aber Ärger mit der WHO wird möglicherweise nicht das einzige Problem sein, das auf die ICANN zukommt. Der teilweise recht undurchsichtige Entscheidungsprozess der ICANN-Direktoren, in dem einzelne Vorschläge schlicht und einfach gar nicht mehr vorkamen, erregte einigen Zorn unter den anwesenden Antragstellern. Auch die Kommentare von Beobachtern der Diskussion, dass offensichtlich finanzkräftige Organisationen bevorzugt wurden, die schon länger im Domain-Geschäft sind, scheint dem ursprünglichen Anliegen zuwider zu laufen, durch Wettbewerb bei den Domain-Registrierungen die Dienstleistungen zu verbessern und die Preise zu senken. So zeigten sich einige der kleineren Firmen bereits erbost und drohten ebenfalls mit rechtlichen Schritten.

Vint Cerf allerdings wiegelt ab: Erst einmal wolle man herausfinden, ob das mit den neuen Domain-Namen funktioniere. Wenn ja, könnte die Einführung weiterer TLDs weit einfacher über die Bühne gehen – bis dahin, dass irgendwann jemand einfach nach einer neuen TLD frage und sie auch sofort bekomme.

Intime Kenner des Domain Name System allerdings stellen die Vorgehensweise der ICANN grundsätzlich in Frage. Prinzipiell gebe es kein technisches Hindernis, beliebig viele neue TLDs einzuführen, hieß es schon in der Diskussion im Vorfeld der ICANN-Entscheidung aus Kreisen der Internet Engineering Taskforce (IETF). Auf einer Konferenz der Bertelsmann-Stiftung zum DNS Mitte Juni dieses Jahres kursierte sogar der Vorschlag, so viele neue TLDs einzuführen, dass sich Markenrechtsstreitigkeiten von selbst erledigen: Niemand könne bei einigen Hundert neuer TLDs wirklich alle Domains, die mit seinem Markennamen zu tun hätten, für sich registrieren.

Angesichts solcher Argumentationen wird die gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung von ICANN-Verantwortlichen, die Organisation sei nur mit technischen und keineswegs mit politischen Fragen befasst, für viele Beobachter immer fragwürdiger. Selbst Helmut Schink, auf Vorschlag der ITU Mitglied des ICANN-Direktoriums, meinte in einem Interview mit heise online kurz vor der ICANN-Jahrestagung schon: "Meiner Meinung nach ist die Arbeit aber sehr wenig technisch orientiert. Es geht vielmehr sehr deutlich um Politik."

Dafür spricht auch eine andere Argumentationsschiene der Kritiker neuer TLDs: Die Probleme, die das Markenrecht für das DNS mit sich bringen, lägen daran, dass das DNS als Verzeichnisdienst missbraucht werde, für den es nie gedacht sei. Harald Tveit Alvestrand, unter anderem Mitglied des Internet Architecture Boards (IAB), vertrat beispielsweise im Juni die Ansicht, die ganze Diskussion beruhe auf dem Missverständnis, das DNS ließe sich als Directory nutzen. Ein Verzeichnisdienst, der das einfache Auffinden von Ressourcen im Internet nach Kriterien wie Marken- oder Firmen-Namen oder gar auf Grund nur bruchstückhafter Informationen über die gewünschte Website ermögliche, sei das DNS aber definitiv nicht. Schließlich sei es nur als Hilfsmittel entstanden, um nicht ständig relativ kryptische IP-Adressen eintippen zu müssen – mehr könne und solle das DNS gar nicht leisten.

Auch Sabine Dolderer, Geschäftsführerin des DENIC, der Registrierungsstelle für .de-Domains, meinte, das Hauptproblem sei nicht ein Engpass an Namen, sondern der Versuch, den DNS als Ordnungskriterium zu nutzen. Notwendig sei ein richtiger Directory Service, meinten Dolderer und Alvestrand übereinstimmend, der das Auffinden von Ressourcen ermögliche.

Dass die neuen TLDs die Schwierigkeiten mit dem Markenrecht und die daraus resultierenden jurisitischen Auseinandersetzungen nicht beenden, scheint jedem klar – denn für das Kennzeichenrecht sei ausschließlich der unterscheidungskräftige Kennzeichenbestandteil ausschlaggebend, und der stecke nun einmal in der Second Level Domain, stellt Rechtsanwalt Konstatin Malakas in einem Beitrag für Ausgabe 24/2000 der c't fest. Den TLDs komme bei der Beurteilung der kennzeichenrechtlichen Unterscheidungskraft eben keine Bedeutung zu.

Ein Verzeichnisdienst, der das Auffinden von Adressen – und um nichts anderes handelt es sich schließlich bei URLs, wenn auch im Vergleich zu IP-Adressen in für Menschen leichter verständlicher Form – nach Kategorien und bestimmten Beschreibungskriterien ermöglichte, würde nicht nur den Anwendern den Umgang mit dem Web erleichtern, sind sich viele Experten sicher. Er könnte möglicherweise auch Markenrechtsstreitereien verhindern: Die Privatperson McDonald und der Konzern McDonald's bräuchten sich nicht vor Gericht wieder zu sehen, wenn die Adresse ihrer jeweiligen Web-Seite relativ beliebig wäre, sie dafür über den Namen McDonald mit Unterscheidungskriterien wie "Privatperson", "Restaurantkette" und zusätzlichen Beschreibungen wie Beruf, Wohnort, Geschäftsziel einer Firma und ähnlichen Kriterien eindeutig zuzuordnen und leicht aufzufinden wäre. Dies leisten bisherige Suchmaschinen nicht – zumal sie rein nach den wirtschaftlichen Erfolgsaussichten der dahinter stehenden Firma betrieben werden. Aber Directory-Services wie die NDS von Novell, der entsprechende Dienst in DCE oder LDAP ließen sich, möglichweise unter Oberaufsicht einer supranationalen Behörde wie der ITU oder der UNO, beispielsweise für diesen Zweck weiterentwickeln.

So scheint die Einführung neuer TLDs keines der Probleme zu lösen, weswegen sie ursprünglich in Angriff genommen wurde – stattdessen handelt sich die für Namen und Nummern im Internet zuständige ICANN den Vorwurf des Dilettantismus und Rechtstreitigkeiten ein. Verwundert stellen sich einige der Zuschauer der ICANN-Jahrestagung die Frage, ob die ICANN mit der TLD-Entscheidung nicht in die größte Krise seit ihres Bestehens schliddert. Und ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, all die Energie und das Kapital, die im Vorfeld der TLD-Entscheidung in die Durchsetzung neuer Domain-Namen investiert wurden, für den Aufbau eines Verzeichnisdiensts zu verwenden. Aber dem stehen wohl nicht nur die ökonomischen Interessen der bisherigen kommerziellen TLD-Registraturen entgegen. (jk)